Inspiration – und dann? III: Vom Thema zur Erzählung

Langeweile kann eine hervorragende Grundlage für Inspiration sein. Das lehren uns sogar die Geschichten selbst: erst, wenn der Held erkennt, dass er mit seinem Plan gescheitert ist, und sich im Tiefpunkt aller gewohnten Handlungsoptionen beraubt sieht, öffnet er sich neuen ungeahnten Möglichkeiten und Ideen. Anlässlich unserer neuen Häuslichkeit und wiederentdeckten Freizeit in Zeiten der Corona-Krise, eine Hilfestellung für das Entwickeln der ersten (oder zweiten, dritten, vierten, …) großen eigenen Geschichte.

Dieser Artikel ist dafür in vier Teile gegliedert: je nachdem, welcher Art die Inspiration für die Geschichte ist – ob es sich um die Idee für eine interessante Figur handelt, um die Idee für eine spannende Handlung, um die Idee für ein faszinierendes Bild, oder um ein wichtiges Thema –, stelle ich dar, wie von dieser Grundlage ausgehend die verschiedenen nötigen Dimensionen der Geschichte entwickelt und ergänzt werden können.

Die zwei Themen der Erzählung

Die gute Idee ist ein Thema, beispielsweise: Klimakatastrophe, Sterbehilfe, Datenschutz, Pflegenotstand, Corona-Krise. Dass die genannten Beispiele gesellschaftliche und damit politische Themen sind, ist dabei kein Zufall. Wie wir im vorherigen Artikel festgestellt haben, ist eine Geschichte eine Geschichte über Bedeutungen. Und auch für das Thema gilt: In der Erzählung wird seine Bedeutung für die Figuren, ihre Konflikte und ihr Handeln dargestellt, seine Relevanz, und damit oft seine inhärent politische Natur. Wir kennen aber natürlich auch relevante Themen ohne notwendig politische Dimension, bspw.: Urlaub, Speisen, Liebe, Sport, Tod.

Dem Wunsch aus einem Thema eine Geschichte zu entwickeln begegne ich deshalb oft bei Autor*innen mit politischer Sendungsabsicht – oder in kreativen Schreibwettbewerben, die gern zusätzlich zur Qualität der eingereichten Stoffe, die bei den besten Einreichungen oft kaum unterscheidbar ist, die intensive Bearbeitung des gegebenen Themas für die Entscheidung heranziehen. Ich persönlich würde mir wünschen, zur Abwechslung in solchen Ausschreibungen öfter eine vorgegebene Figuren-, Handlungs- oder Bildidee zu lesen; das wird aber oft als zu großer Eingriff in die künstlerische Arbeit verstanden. Warum aber nicht beim Thema?
Zum selben kognitiven Thema sind zahlreiche emotionale Themen denkbar.
Ron Kellermann, Storytelling-Consultant und Mitgründer dieses Blogs, unterscheidet zwischen kognitiven und emotionalen Themen, und eine Geschichte verfügt immer über beides. Das kognitive Thema der Geschichte mag ein Leistungssport sein, das emotionale Thema das Dasein als Außenseiter (Die große Ekstase des Bildschnitzers Steiner), das kognitive Thema rechter Terror, das emotionale Thema der Verlust des eigenen Lebens (metaphorisch, dann tatsächlich: Aus dem Nichts), das kognitive Thema politische Korruption, das emotionale Schuld (Chinatown). Zum selben kognitiven Thema sind aber zahlreiche emotionalen Themen denkbar, ebenso kann sich aus verschiedenen kognitiven Themen das selbe emotionale Thema ergeben. Deshalb kann man die Vorgabe eines Themas als geringeren Eingriff in die kreative Arbeit verstehen.

Oben brachte ich bereits die Relevanz ins Spiel: bei der Frage, welche Bedeutung ein Thema für die Figuren der Erzählung hat. Den Begriff nutzt auch Ron: kognitive Themen werden bei ihm nach ihrer Relevanz, Brisanz und Aktualität bewertet (»Das Storytelling Handbuch«): Relevanz bezeichnet dabei, inwiefern das Publikum von dem Thema betroffen ist; Aktualität, ob es sich dieser Betroffenheit bewusst ist, und Brisanz, wie stark die Gefühle sind, die das Thema beim Publikum auslöst. Im besten Fall sind Aktualität und Brisanz schon gegeben – das verspricht einen größeren Erfolg der Geschichte beim Publikum, das nach Orientierung im gegebenen Thema sucht. Eine Geschichte kann aber das Bewusstsein über die Relevanz eines Themas und damit seine Aktualität sowie eine Empfehlung für seine Brisanz erst erzeugen. Die Figuren der Erzählung sind stellvertretend für das Publikum betroffen, das Thema wird für sie aktuell, und sie proben beispielhaft verschiedene Emotionen, mit denen sie darauf reagieren können.
Eine Geschichte verträgt nur ein emotionales Thema.
Ein Dramaturg, der stark mit emotionalen Themen arbeitet, ist Phil Parker, Entwickler der sogenannten kreativen Matrix. Im Englischen ist die Unterscheidung zwischen kognitiven Themen – topics – und emotionalen Themen – themes – auch selbstverständlicher. Parker kategorisiert emotionale Themen in acht Gruppen: die Sehnsucht nach Gerechtigkeit, das Streben nach Liebe, die schwierige moralische Entscheidung, der Wunsch nach Ordnung, die Jagd nach Lust und ihrer Befriedigung, Angst vor dem Tod, Furcht vor dem Unbekannten, unser Bedürfnis nach Bestätigung. Eine Geschichte verträgt nur ein emotionales Thema, Parkers Negativbeispiel ist da Babel, das das Publikum zwar fasziniert aber emotional unberührt zurücklässt. Seine Matrix, ein Konzept der beabsichtigten Erzählung, entsteht dann in Verbindung des emotionalen Thema mit zwei von zehn Handlungstypen und dem Genre der Erzählung.

Zum Thema eine Geschichte entwickeln

Storyworld Designer Jörg Ihle (u. a. Anno 1404, Siedler 7) fragt in der Entwicklung von Erzählwelten nach »Emotio«, »Ratio« und »Spirito«: eine Figur (»Emotio«) gehört einer kulturellen oder politischen Gruppe an (»Ratio«), die eine gemeinsame Ideologie verbindet (Spirito), die Ideologie steht mit einer anderen in Konflikt, die ebenfalls von einer Gruppe vertreten wird, für die wir ebenfalls stellvertretend eine Figur erzählen. Bei einem gegebenen kognitiven Thema wäre also die Frage, welche unterschiedlichen Haltungen zum Thema und damit welche Konflikte sichtbar oder denkbar sind. Die widerstreitenden Haltungen werden von entsprechenden Gruppen vertreten, aus diesen Gruppen erzählen wir je eine Hauptfigur. Ihre Auseinandersetzung – ihr Agon – bestimmen ihre jeweiligen Handlungen – wir unterscheiden in Protagonist, ersthandelnde, und Antagonist, gegenhandelnde Figur – und damit die Handlung die Erzählung.
Geschichten sind Geschichten über Fehler. Die Figur irrt.
Bei der Stoffentwicklung kann tatsächlich wieder das Character Mapping von Laurie Hutzler helfen und seine Übersetzung in Erzählhandlung, das ich im ersten Teil dieser Reihe vorgestellt habe. Das emotionale Thema lässt nämlich oft einen zumindest ungefähren Schluss auf die Katastrophe der Erzählung zu, das Eintreten der größten Angst der gewählten Figur. Phil Parkers Angst vor dem Tod und Furcht vor dem Unbekannten sind ein deutlicher Hinweis darauf, aber auch aus dem Thema des Strebens nach Liebe oder der schwierigen moralischen Entscheidung lässt sich leicht auf Katastrophen schließen: die Figur wird von den Menschen, die sie liebt und von denen sie sich geliebt fühlte, verlassen und ist daran sogar selbst schuld, hat also nicht bloß Pech, sondern fühlt charakterlich ungeeignet zu lieben oder geliebt zu werden; die Figur ist endlich zu einem Ergebnis ihres moralischen Dilemmas gekommen, dass sie voller Überzeugung in die Tat umsetzt um dann festzustellen, dass es die falsche Entscheidung war.

Wird im emotionalen Thema außerdem ein Ziel spürbar, wie etwa bei der Sehnsucht nach Gerechtigkeit oder dem Wunsch nach Ordnung, ist eine hilfreiche Frage entsprechend Hutzlers Character Mapping: Mit welchen Stärken versucht die Figur, Ordnung oder Gerechtigkeit herzustellen? Und dann: Warum sind es die falschen Stärken um dieses Ziel zu erreichen? Was muss die Figur also über sich und ihre Stärken sowie über das emotionale Thema, hier Ordnung oder Gerechtigkeit, lernen? Bei aller Orientierung am wichtigen Thema darf nämlich nicht vergessen werden: Geschichten sind Geschichten über Fehler. Die Figur irrt. Deswegen erkundet sie bei der Brisanz des kognitiven Themas auch nicht nur eine Emotion (so arbeiten Demagogen) sondern zahlreiche und widerstreitende. Eine gute Geschichte ist immer eine Erkundung ihres Themas. Probiert es aus.

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