FSE18: Raus aus dem Malestream

Über »Männer, die zufällig Brüste haben«: »Raus aus dem Malestream. Weibliche Perspektiven in der Stoffentwicklung«, eine Podiumsdiskussion bei der diesjährigen VeDRA-Tagung FilmStoffEntwicklung, problematisiert die Zahl und Qualität von Frauenrollen vor und hinter deutschen Kameras und sucht nach Antworten, formalen wie inhaltlichen. Moderatorin Katrin Merkel (VeDRA) und Gast Susanne Bieger sind Mitglied bei ProQuote Film, einem Verein, der Geschlechtergerechtigkeit bei Filmeacherinnen und Filmemachern fordert. Antonia Roeller ist Autorin und Dramaturgin und hat Arbeiten über weibliche Märchenfiguren und Führungskräfte im deutschen Film und Fernsehen veröffentlicht. Dr. Christine Linke ist Medienforscherin und Co-Autorin der Studie »Audiovisuelle Diversität – Geschlechterdarstellung in Film und Fernsehen in Deutschland«.

Diese Studie der Universität Rostock stellt Dr. Linke vor. Untersucht wurden 2945 Fernsehsendungen, 2692 Sendungen für Kinder, und 883 deutsche Kinofilme. Im fiktionalen Erzählen zeigen sich vor der Kamera noch deutliche Unterschiede zwischen der Zahl der Protagonisten und Protagonistinnen: 42% Protagonistinnen zu 58% Protagonisten im Kinofilm, 44% zu 56% im Fernsehfilm, 38% zu 62% in der Fernsehserie, immerhin 52% Frauen zu 48% Männern in Soap und Telenovela. Noch größere Unterschiede zeigen sich außerdem im nonfiktionalen Bereich (den ich hier vernachlässige, der aber einen Blick wert ist, denn: »Männer erklären die Welt«), ein besonders krasser im sowohl nonfiktionalen als auch fiktionalen Kinderfernsehen: 28% Protagonistinnen und nonfiktionale Hauptakteurinnen gegenüber 72% Protagonisten und Hauptakteuren. Zudem gibt es das Phänomen das Frauen mit steigendem Alter aus deutschen Fernsehproduktionen verschwänden. Dr Linke erzählt, eine Presseveröffentlichung über die Studie habe den stetig abfallenden Graph als Bermudadreieck bezeichnet, in dem die Frauen mysteriös verschwänden.

Doch nicht nur die Zahl, sondern gerade die Qualität der Frauenrollen, auf die die Dramaturgin und der Dramaturg ja Einfluss nehmen könnte, soll Thema des Gesprächs sein. Aus der Studie stellt Dr. Linke dafür die Ergebnisse des Bechdel-Wallace-Tests und des umgekehrten, sogenannten Furtwängler-Tests der untersuchten Filme vor: Während es in 57% der Filme mindestens zwei namentlich genannte Frauen gegeben haben, die miteinander sprachen, und zwar nicht über Männer, gab es in 87% der Filme mindestens zwei namentlich genannte Männer, die miteinander sprachen, und zwar nicht über Frauen. Als Dramaturg, der seinen Autorinnen und Autoren wiederholt rät, sich im Drama auf Szenen mit der Protagonistin oder dem Protagonisten zu konzentrieren, statt eine epische Breite zu erzählen, die dazu führen muss, dass das Publikum mehr weiß als die Hauptfigur, und so die Identifikation stört, kann mich das nicht überraschen: Ist der Protagonist männlich, ist die Darstellung von Gesprächen zwischen Frauen unwahrscheinlicher; ist die Protagonistin weiblich, sollte die Darstellung von Gesprächen zwischen Männern unwahrscheinlicher sein.

In der folgenden Podiumsdiskussion werden bestimmte Frauenfiguren weiter problematisiert: Frauen seien Mütter oder Belohnungen für den männlichen Helden, immer noch seien sie Heilige oder Prostituierte. Und auch die sogenannte »starke Frau« wird kritisiert. Eine gute Frauenrolle sei nicht eine Männerfigur, die zufällig Brüste habe, und dass starke Frauen die Konfrontation mit Männern suchen müssten, sei ein patriarchalischer Denkansatz. Gerade im Drama ginge es ja um die Schwäche einer Figur, ob nun männlich oder weiblich. Tatsächlich ist ein gutes Drama ja eine Kritik der Stärken der Figur, Erkenntnis und Katharsis entstehen aus Selbstzweifeln. Dramaturgin Laurie Hutzler beschreibt es in ihrem Character Mapping so: Die Stärken einer Figur halten ihre Maske aufrecht und verhindern eine Auseinandersetzung mit ihrer Angst, ihre Schwächen hingegen sind es, die wiederholt auf das Problem aufmerksam machen, damit die Figur es lösen kann. Eine starke Frau, die stark bleibt, bliebe dann ignorant, und die eigentliche Leistung der starken Figur, der Selbstzweifel, würde ihr vorenthalten. Die Frage von guten weiblichen und männlichen Figuren ist damit auch eine Frage von gutem oder schlechtem Drama.

»Raus aus dem Malestream. Weibliche Perspektiven in der Stoffentwicklung.« FilmStoffEntwicklung 2018, Foto: Andre Wunstorf
FilmStoffEntwicklung 2018, Foto: Andre Wunstorf

Susanne Bieger und Antonia Roeller berichten aus den Filmen anderer Kulturen, südamerikanischer und afrikanischer, in denen das soziale Netzwerk der Figuren eine deutlich größere Rolle spiele, als in amerikanischen und europäischen Filmen. Eine ähnliche Bewegung hin zu einem »sozialeren Erzählen« versucht ja auch die Reise der Heldin, die in diesem Blog schon Thema war. Für Susanne Bieger denken wir sowieso zu selten über soziale Strukturen nach, nicht nur was Geschlecht und Alter angeht, sondern auch etwa Wohlstand, Bildung und Herkunft. Eine spätere Veranstaltung, Roland Zags Vortrag über eine Dramaturgie der Systeme, lädt geradezu dazu ein, hier einen Zusammenhang herzustellen: Vielleicht kann das Erzählen von protagonistischen Kollektiven und antagonistischen Systemen eine Lösung sein. Der Artikel über diesen Vortrag wird am Donnerstag erscheinen.

Und auch in einem System, nämlich dem des deutschen Filmemachens, sehen die Teilnehmerinnen der Diskussion ein großes Problem: Das redaktionelle Glaubensbekenntnis »Wir machen das, was funktioniert hat« verhindert die nötige Veränderung. »Was ist bei uns in den Köpfen? Und wie brechen wir das?«, formuliert Merkel die Aufgabe. In einem Artikel, der am Tag der FilmStoffEntwicklung hier im Blog erschien, hatte ich noch den Veränderungsprozess im Drama mit einem möglichen Veränderungsprozess in der Politik verglichen. Auch hier jeweils das Problem, man könne sich auf die Konstrukte verlassen, die sich bewährt hätten, denn das macht abhängig und führt, wenn es einmal nicht mehr funktioniert, in die Verzweiflung.

Zuletzt möchte ich noch auf eine interessante Übung aufmerksam machen, von der Antonia Roeller erzählt: Sie bittet Autorinnen und Autoren Szenen zu schreiben, in denen eine Figur die Beziehung mit einer anderen Figur beende, erzählt sie. Eine der Figuren sei männlich, die andere weiblich. In der ersten Übung soll die männliche Figur »besonders männlich« und die weibliche Figur »besonders weiblich« sein, in der zweiten Übung die männliche Figur »weiblich« und die weibliche Figur »männlich«. Das Ergebnis sei dabei oft, dass die »männlich« konnotierte Figur diejenige sei, die die Beziehung beende, und die »weiblich« konnotierte Figur diejenige, deren Beziehung vom anderen beendet wird. Trotz einer Realität, in der etwa Zahlen über die Einreichung von Scheidungen das Gegenteil vermuten lassen. Autorinnen und Autoren seien oft erschüttert über diese eigene Wahrnehmung. Und das ist vielleicht gut: Denn Erschütterung von falscher Gewissheit ist ein guter Ausgangspunkt für Veränderung.

Leserinnen und Leser, die am Tag der Dramaturgie andere Veranstaltungen besucht oder einen anderen Eindruck von den geschilderten Veranstaltungen bekommen haben, sind herzlich eingeladen eigene kurze oder lange Artikel zu ihren Erlebnissen, Begegnungen und Erfahrungen bei der diesjährigen FilmStoffEntwicklung einzureichen! Einfach per Mail an schreiben@arno.ruhr. Ein Einblick in die Veranstaltungen, die ich nicht besuchen konnte (etwa das Gespräch mit Heinz-Peter Preußer über Imagination), würde mich freuen.

Ein Kommentar

  1. Michael Füting

    Wie sagte William Faulkner schon vor zig Jahren:
    Verschwende Deine Zeit nicht mit Mannsbildern. Die haben zu viele Tatsachen im Kopf.
    Setz für alles Außergewöhnliche Weiber und Kinder in Bewegung!

    12. November 2018

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