Theorie tl;dr: Über das Auflösen

Too long; didn’t read: Texte aus Drehbuch-, Film- und Welttheorie, kurz, knapp, bündig zusammengefasst und auf ihren Wert fürs filmschreiben hin geprüft. Heute der Vortrag »Das hölzerne Pferd« von Hannes Böhringer. (Aus dem selben Band, Philosophien der Neuen Technologie, hatte ich mich schon sehr vergeblich an Jean Baudrillard versucht.)

In 50 Worten (Was ist das?): Der Mensch löst seine Probleme durch die Konstruktion einer Lösung, doch damit unterwirft er sich dieser Konstruktion. Und jeder Konstruktion wohnt ein eigenes Problem, und damit ihre Auflösung inne, das der Mensch durch weitere Konstruktion löst, die er durch weitere Konstruktion aufzuhalten versucht, für die er sich weiteren Konstruktionen unterwirft.

In 140 Zeichen (Was ist das?) (Ja, Theorie tl;dr bleibt bei 140 Zeichen, es geht doch ums Zusammenfassen!):

#HannesBöhringer: Jeder #Erfindung, mechané, wohnt ihre Auflösung und damit die amechania, das Unvermögen, die #Ohnmacht des #Menschen inne. — filmschreiben.de (@filmschreiben) 22. November 2017

Die Erkenntnis: Nicht nur wir Dramaturgen machen uns Gedanken über den Tiefpunkt. Bei Philosoph Hannes Böhringer ist er die Zerstörung der mechané, das Auflösen der Maschine, der Erfindung, des Plans, der List in seine unbrauchbaren Bestandteile. „Gliederlösend“ sei die Amechanie, die Ohnmacht, in der Aporie, der Ausweglosigkeit. Alles was bliebe sei der Klageschrei, als das Unartikulierteste, Aufgelösteste (und Natürlichste).

Er zitiert die Odyssee, »Da lösten sich dem Odysseus die Knie und das liebe Herz«, und das Alte Testament, »Er hat mich ummauert ohne Ausweg, legte eherne Fesseln mir an… Er sperrte meinen Weg ab mit Quadern… Er hat meine Wege verwirrt und mich gelähmt, er ließ mich erstarren.« Und Antigone: »Aus Seuchen… unbewältigbaren hat er [der allesbedenkende Mensch] sich Auswege ausgesonnen… Vor dem Tod allein wird er sich keine Ausflucht schaffen.« Denn (und das ist jetzt wieder Böhringer): »Der Tod ist die eigentliche Aporie und Amechanie des Menschen.«

Das ist der Tiefpunkt im Drama, manchmal als Punkt der Verzweiflung bezeichnet: Der Plan, der den Protagonisten durch den zweiten Akt getragen – d.h. in Erwartung seines Gelingens motiviert – hat, ist gescheitert. Hier entscheidet sich die mögliche Charakterentwicklung der Figur: Reagiert sie wie bisher, und das hieße nach Böhringer wohl: mit einem Plan, scheitert sie erneut und endgültig. Reagiert sie anders – und in diesem bloßen „anders“ liegt das so Unverständliche, Unverstehbare, das die Erzählung bis dorthin erst nötig macht – hat sie eine Chance: »Der Ausweg aus der Aporie des Handelns […] ist die Kunst, die der Ausweglosigkeit Ausdruck verleiht.«

Das Zitat:

So versteht Aristoteles das Theater als medizinisches Gerät zur Reinigung von den Leidenschaften und als Belagerungsmaschine. Sie zerschlägt den Helden, um die Zuschauer zu erschüttern. In der Erschütterung wird ihr Panzer porös, so daß ihre schädlichen Affekte in der Amechanie des Schauderns und Jammerns über den Untergang des Helden entweichen können zur Erneuerung von Besonnenheit und Maß.

Von besonderem Interesse ist vielleicht, wie man Böhringer nicht bloß auf die Dramaturgie, hier den Tiefpunkt, beziehen kann, sondern auch auf die dramaturgische Arbeit:

Die Sophisten bieten ein selbstgebautes Gefährt an, sie versuchen, aus der extatischen Fahrt eine mechanische Kunst zu machen, die nichts anderes verlangt als Begabung, Belehrung und Übung. […] Zum Guten führt kein Weg, zur Tugend führt nur der Nicht-Weg.

Eine gute Erzählung lässt sich nicht durch die Anwendung eines Modells oder dem Befolgen einer vorgegebenen Struktur erreichen, das führt höchstens zu einer funktionierenden Erzählung. Eine gute Erzählung aber braucht mehr als das, und falls dorthin kein Weg führt, sondern bloß ein Nicht-Weg hilft auch kein Wegweiser, sondern nur ein Nicht-Wegweiser.

Das letzte Wort:

Wer die Sprache beherrscht, wer reden kann, der kann überall mitreden, andere überreden und durch die Rede überwältigen.

Der Text: Hannes Böhringer: Das hölzerne Pferd. In: Ars Electronica (Hrsg.), Philosophien der neuen Technologie, Merve-Verlag, Berlin 1989. Vergeblich im Internet gesucht. (Auf den Webseiten von Akademiker würde man sich manchmal mehr Inhalt und weniger Listen wünschen.)

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