Zur Dramaturgie von Crowdfunding-Videos am Beispiel von Trink—Genosse (2/2)

Videoclips zu Crowdfunding-Kampagnen sind nicht das übliche Betätigungsfeld eines Film- und Fernsehdramaturgen. Sie sind nicht fiktional, nicht abendfüllend, und folgen keiner künstlerischen, sondern einer klar wirtschaftlichen Intention. Aber so, wie wir auch Dokumentationen, Kurzfilme, Privatfernsehen und darin die Werbung dramaturgisch untersuchen, verstehen und beraten können, geht das auch bei einer modernen Crowdfunding-Kampagne. Dramaturgie ist wie alles andere immer größer als das von ihr bereits Bekannte. Ich habe mir einen Teil des Unbekannten angeguckt: Bei der kokreativen Entwicklung eines Crowdfunding-Clips für das Projekt »Trink—Genosse«, einer genossenschaftlichen Kölner Bar zur Demokratieentwicklung.

Teil 2: Über die Ermittlung und Vermittlung der eigenen Werte bei Trink—Genosse

Im ersten Teil beschrieb ich nach allgemeinen Überlegungen zu einer Dramaturgie von Crowdfunding-Clips anhand des Calls to Adventure aus der Heldenreise, der die möglichen Spender zum Abenteuer ruft, wie Trink—Genosse bei seinen Mitgliedern über eine Erfragung der gemeinsamen Ziele eine Erfragung der gemeinsamen Story erreichte. Zur Erinnerung: Unsere Motivation ein Ziel zu erreichen besteht aus der Erwartung an die Wirkung dieser Zielerreichung; diese Erwartung ist Ergebnis der Erfahrungen, die wir gemacht haben, und ein Hinweis darauf, wie wir die Welt und den Menschen wahrnehmen. Unsere Anstrengung für ein Ziel ist ein Opfer von Ressourcen und damit Resultat einer Abwägung von Werten. Unser Ziel erzählt unsere Werte; was wir wollen, erzählt, wer wir sind. Entsprechend fragte Trink—Genosse seine Mitglieder: Was sind wir? Was können wir? Und was werden wir?

Dazu noch einmal kurz: Was ist Trink—Genosse, was können sie und was werden sie?

Trink—Genosse ist ein Projekt zur Gründung einer Genossenschaftskneipe in Köln. Die Genossinnen und Genossen wollen sich in einem ständigen kokreativen Prozess demokratisch mit ihrer und miteinander über ihre Kneipe auseinandersetzen. Ermöglichen und vereinfachen soll das das sogenannte Design Thinking aus dem Service Design: Methoden zum gemeinschaftlichen entwerfen und gestalten. Ein anderer Writers‘ Room. Es ist erst die juristische und dann die gestalterische Aneignung eines Stück öffentlichen Raumes, der dann öffentlich wirksam werden und »Straße, Stadt, Demokratie, Wirtschaft und Wirtschaft« verändern soll. Hier geht es zur Kampagne.

Die individuellen Ideen, die als Antwort auf die Fragen entstanden, die sich Trink-Genosse stellte, wurden dann in gemeinsamen Themen zusammengefasst. Bei Trink—Genosse waren das beispielsweise: »Demokratie leben«, »Gemeinschaft erleben«, »erfahrbare Veränderung«, »Möglichkeitsraum«, »Experiment«, »Ideologie«, »Wissen teilen«, »Antwort auf Probleme«, »Commitment«, und »Geil!!!« – ein Thema, das eine gute Bar wohl nicht vernachlässigen sollte. Der Leser ist herzlich eingeladen zu überprüfen, wie diese Themen in Text, Ton und Bild Eingang in das Crowdfunding-Video gefunden haben.

Es sind das Themen, die Ron in seinem Storytelling Handbuch »kognitive Themen« nennt und von »emotionalen Themen« unterscheidet. Ron untersucht diese Themen dann auf ihre Relevanz, Aktualität und Brisanz: Inwieweit betrifft das Thema die Menschen? Beschäftigen sie sich bewusst mit diesem Thema? Löst das Thema starke Gefühle aus? Das ist für fast alle der genannten Themen von Trink—Genosse angesichts der nationalen und globalen Demokratie-, Pluralitäts- und Multilateralitätskrise überraschend stark gegeben.

An diesem Punkt schloss ich mich dem Prozess an – zunächst vor allem wegen meines fachlichen Hintergrunds, aber dann auch als vom »Geil« und den anderen Themen überzeugter und immer überzeugterer Trink—Genosse. An die Identität und Werte, die aus den Anstrengungen, dem Ziel, der Motivation und der Erwartung sprach, konnte ich mich anschließen. Mit den erarbeiteten Themen übten wir erste kleine rein sprachliche Pitches: Konnten wir unser Anliegen verständlich machen und überzeugen? Wir konnten. Gemeinsam suchten wir nach audio-visuellen Ideen, die diese Themen transportieren konnten, dazu später mehr. Die Genossinnen und Genossen übergaben dann die große Aufgabe des Videodrehbuchs in einen kleinen, vier Personen starken Writers‘ Room.
10 Ideen pro Problem, für die beste und nicht die erstbeste Lösung.
In diesem Writers‘ Room strukturierte ich mit den anderen Autorinnen und Autoren zunächst unsere Themen: Wo gab es inhaltliche Nähen, die ein Überleiten von einem Thema zum nächsten einfach machten? Aufeinanderfolgende Inhalte sollten nach Möglichkeit kausal bzw. final motiviert verbunden sein. Die beiden South-Park-Erfinder Matt Stone und Trey Parker empfehlen dafür zwei Verbindungsworte zwischen den Schritten eines Plots: »Therefore« für die Handlungen des Protagonisten, und »But« für das Problem. Editor Tony Zhou ergänzt es in seinem Videoessay How To Structure A Video Essay? um »Meanwhile, back at the ranch…«, d.h. um die Auswirkungen der Handlung – hier: der Argumentation – auf ihren Ausgangspunkt. Ich behaupte: In diesen Verbindungen, die Sinn stiften und nach Bedeutung suchen, passiert die Erzählung.

Während Autorinnen und Autoren im professionellen Writers‘ Room schließlich einander zuweisen, wer welche Texte schreibt, sollte der Sprechertext, den wir dem Video zugrunde legen würden, tatsächlich von allen vier AutorInnen zusammen formuliert werden. Ein pluralistisches Werk für ein pluralistisches Projekt. Ein solcher Sprechertext ist wenig visuell und filmisch wenig raffiniert, doch ermöglicht er zusammen mit den visuellen Ideen in kurzer Zeit eine hohe informative Dichte. Und auch bei der Entscheidung gegen eine direkte Ansprache des Publikums würde ich Initiatoren von Crowdfunding-Kampagnen empfehlen, sich an diesem Punkt an einem ausformulierten virtuellen Sprechertextes orientieren: Er bietet einen konkreten inhaltlichen Leitfaden dessen, was kommuniziert werden soll.

Im nächsten Schritt formulierten wir entlang der uns gegebenen Struktur der Themen jeweils einen solchen möglichen Sprechertext. Alle vier Texte untersuchten wir dann Thema für Thema auf die jeweiligen formalen (hier: Sprache, die Spaß macht) und inhaltlichen Stärken und Schwächen, und überarbeiteten sie entsprechend. Die größte Stärke war dabei immer die gute Idee. Der Autor John Vorhaus schlägt in seinem Drehbuchratgeber The Comic Toolbox vor, zu jedem Problem zehn Ideen zu entwickeln, um die beste und nicht die erstbeste Lösung zu wählen. Deshalb kann ich das kokreative Arbeiten empfehlen: Vorhaus‘ Methode der Qualitätssicherung hatten wir mal eben vervierfacht. Schließlich führten wir alle erarbeiteten Texte zu einem gemeinsamen Text zusammen und konnten zu jedem Thema, ja zu jedem Satz die beste Idee wählen.
Wenn es funktioniert braucht es Sensibilität, Offenheit, Mut.
Dieses sehr methodische Vorgehen verließen wir im nächsten Schritt. Wir hatten uns eine gemeinsame Vorstellung unseres Textes erarbeitet; alle Autorinnen und Autoren waren sich einig über seinen Inhalt, seine Struktur, und seinen Ton. Das Rewriting, das Schleifen und Polieren der Aussagen in ihrer Deutlichkeit und der Sprache in ihrem Witz, geschah dann in gemeinsamen Sitzungen, in denen wir alle im selben Text schrieben und uns unsere Ideen einander vorstellten und sie diskutierten. Ob das grundsätzlich funktionieren kann mag zu erproben sein, bei uns gelang es und unsere Einigkeit über das gemeinsame Ziel half dabei. Solch ein Weg über die Methoden hinaus möchte ich hier dringend empfehlen. Methoden, auch die Dramaturgie, führen zu einem funktionierenden Werk. Ihre Qualität, die ich hier etwas tollkühn als künstlerische Qualität bezeichnen möchte, führt aber weit über das bloße Funktionieren hinaus. Vor einiger Zeit habe ich bei Theorie tl;dr einen Text von Hannes Böhringer besprochen: »Zum Guten führt kein Weg, zur Tugend führt nur der Nicht-Weg.« Sobald das Konstrukt erst funktioniert braucht es Sensibilität, Offenheit und Mut.

Die passenden audio-visuellen, filmsprachlichen Ideen entwickelten sich entlang der Arbeit am Text und wie oben angekündigt im gemeinschaftlichen Prozess aller Genossinnen und Genossen: Gemeinsam assoziierten wir Lichter, Farben, Formen, Körper, Bewegungen, Verwandlungen, Stimmen, Geräusche, und Musik mit unseren erarbeiteten Themen. Zur Inspiration möchte ich ein weiteres Videoessay Tony Zhous empfehlen: Edgar Wright – How To Do Visual Comedy. Auch hier profitierte der Prozess von Vorhaus‘ Qualitätssicherung und potenzierte sich um die Zahl der Teilnehmer. Es war mir selten so offenbar, wie sehr wir an Zusammenarbeit gewinnen, wenn sich die eigenen Ideen an den Ideen der anderen entzünden und umgekehrt.

Ein paar der so entstandenen Ideen: Die erhobene Hand, die zunächst in der Bar bestellt, und dann in einem demokratischen Prozess abstimmt. Bierdeckel als Wahlkästchen. Zigarettenrauch, der das Ende einer Wahl ankündigt, wie im Vatikan. Ein offener Zapfhahn als Symbol für Open Source. Wasserränder, die wir als Venn-Diagramm verstehen. Verschüttetes Bier, das sich über eine Stadtkarte ausbreitet, wie sich die Wirkung von Trink—Genosse durch die Stadt verbreiten sollte. Einige unserer Ideen funktionierten, andere nicht. Einige Ideen funktionierten nur auf dem Blatt, und wurden dann herausgeschnitten. Leserinnen und Leser können ja Ausschau halten, welche der genannten Ideen wir wie verwirklicht haben, und welche wir dazu noch hatten.

Ich werde einen Hobbit machen, und diesen eigentlich zweiteiligen Artikel übermorgen um einen weiteren Teil ergänzen. In diesem dritten Teil werde ich die Überlegungen des ersten Artikels und die Erfahrungen, die ich hier in diesem Teil geschildert habe, zu einer Empfehlung für die Arbeit an Crowdfunding-Videos zusammenfassen. Und die bisherigen Ausführungen um zwei Überlegungen ergänzen: Zum einen die Erarbeitung eines Tiefpunktes, die im Prozess von Trink—Genosse zwar stattgefunden, es aber nicht in die finale Schnittfassung geschafft hat. Zum anderen die sinnvolle Berücksichtigung der Zielgruppe, die bei Trink—Genosse nicht passiert ist, die ich dann aber bei der Arbeit am zweiten Projekt bürgerschaftlichen Engagements, von dem ich im ersten Artikel sprach, eingeführt habe.

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