Zur Dramaturgie von Crowdfunding-Videos am Beispiel von Trink—Genosse (3/2)

Videoclips zu Crowdfunding-Kampagnen sind nicht das übliche Betätigungsfeld eines Film- und Fernsehdramaturgen. Sie sind nicht fiktional, nicht abendfüllend, und folgen keiner künstlerischen, sondern einer klar wirtschaftlichen Intention. Aber so, wie wir auch Dokumentationen, Kurzfilme, Privatfernsehen und darin die Werbung dramaturgisch untersuchen, verstehen und beraten können, geht das auch bei einer modernen Crowdfunding-Kampagne. Dramaturgie ist wie alles andere immer größer als das von ihr bereits Bekannte. Ich habe mir einen Teil des Unbekannten angeguckt: Bei der kokreativen Entwicklung eines Crowdfunding-Clips für das Kölner Projekt »Trink—Genosse«, zur Gründung einer genossenschaftlichen Bar für Demokratieentwicklung.

Teil 3: Vorschläge zu einer Erweiterung des Storytelling-Prozesses bei Trink—Genosse

Im ersten Teil dieser kurzen Artikelserie beschrieb ich, wie der Überzeugungsversuch der Initiatoren bei der Werbung für ihr Crowdfunding-Projekt als Call to Adventure aus der sogenannten Heldenreise verstanden werden kann, und mit welchen Fragen Ziele, Werte, Welt- und Menschenbilder formuliert werden können, an die sich das Publikum inhaltlich anschließen kann. Im zweiten Teil beschrieb ich den Prozess, durch den ich mit den Genossinnen und Genossen das Drehbuch zum Crowdfunding-Clip erarbeitete. Mit diesem dritten von ursprünglich zwei Teilen mach ich einen Hobbit und gehe hier auf die Aspekte ein, die nicht Teil des Prozesses waren oder nicht Teil der finalen Schnittfassung: Das Charakterisieren der Zielgruppe und das Erzählen eines Tiefpunkts.

In der zweiten Gruppe bürgerschaftlichen Engagements, mit der ich zur Zeit arbeite, und von der ich schon im ersten Teil der Artikelserie kurz berichtete, ist es nicht ein Crowdfunding-Video, sondern eine Präsentation, die wir erarbeiten. Anders als beim Crowdfunding-Video, bei dem der zweite überzeugt werden kann, wenn der erste nicht überzeugt wurde, ist es notwendig, dass mit dieser Präsentation das Publikum vollständig überzeugt wird. Es gilt also hierfür besonders, die Zielgruppe zu berücksichtigen. Helfen kann dabei wieder das Verständnis dieses Überzeugungsprozesses als Call to Adventure aus Joseph Campbells Monomythos und Christopher Voglers Heldenreise, und ein sogenanntes Character Mapping des Publikums, nach Laurie Hutzler.

Laurie Hutzler stellt sechs Fragen über die fiktionale Figur, die wir hier für das Publikum der Präsentation, oder eben des Crowdfunding-Videos adaptieren können. Zunächst fragt sie nach der Maske der Figur, danach, wie sie von Anderen gesehen wird. Dann fragt sie nach der Angst der Figur, der sie sich nicht stellen mag. Im dritten Schritt fragt sie nach den Stärken der Figur, jene Fähigkeiten, auf die sie sich auch in schwierigen Situationen immer verlassen kann. Dann fragt sie nach einem Idol oder Ideal, nämlich nach jemandem, den die Figur für bestimmte Eigenschaften bewundert. Als nächstes erfragt sie die Schwächen der Figuren, die Charakterzüge die sie in Schwierigkeiten bringen, selbst wenn gerade alles gut läuft. Und zuletzt fragt sie nach dem Schatten, nach jemandem, den die Figur aufgrund bestimmter Eigenschaften ablehnt.
Die positiven Aspekte der Maske können bestärkt, die negativen geschwächt werden.
Beim Appell an das Publikum, bei seinem Ruf zum Abenteuer, gilt es die Antworten auf diese Fragen zu beachten. Das Publikum soll zu einer Handlung motiviert werden, dabei hilft die Erwartung, damit dem eigenen Idol oder Ideal näher zu kommen. Das Publikum hat Stärken, mit denen sie Ziele gut und einfach erreicht, und Schwächen, mit denen es ihm mindestens schwer fällt. Der von uns, dem Mentor, angebotene Plan, wie das Ziel zu erreichen ist, sollte also eine Handlung des Publikums entsprechend seiner Stärken enthalten, und bei seinen Schwächen ohne Vorwurf signalisieren, das seien Schritte des Planes, die andere übernehmen – oder noch besser: schon längst übernommen haben. Die positiven Aspekte der Maske können bestärkt, die negativen geschwächt werden. Es sollte möglichst deutlich darauf hingewiesen werden, dass das Publikum mit der erwünschten Entscheidung keinen Schritt in Richtung seiner Angst tut. Der Schatten kann zu einer versteckten Warnung genutzt werden, dass sich das Publikum mit einer falschen Entscheidung so verhält, wie es das normalerweise ablehnen würde.

Das Erzählen des Tiefpunkts ist anders als das Charakterisieren der Zielgruppe bei Trink—Genosse durchaus geschehen, die entsprechende Szene wurde aber früh in der Postproduktion herausgeschnitten. Das liegt zum einen daran, dass die visuellen Ideen schlechter funktioniert haben, d.h. weniger verständlich waren, als wir das erhofft hatten: Es gibt eine Sequenz im Video, in der zum Beispiel ein prallgefüllter Chaplinscher Erdkugel-Wasserball gezeigt, und „Demokratie“ gepflanzt wird – beim Bericht über den Tiefpunkt sollte der Wasserball leer, die Demokratiepflanze verdorrt, und auch die anderen Elemente der vorhergehenden Sequenz in ein eher unglückliches Ende geführt worden sein. Im Ton berichten die Genossinnen und Genossen dabei, wie das Projekt 2015 an finanziellen Schwierigkeiten, dem Fehlen eines notwendigen bezahlbaren Raumes und der damit einhergehenden wachsenden Frustration zerbrach, bevor es dann 2017 wieder aufgenommen wurde.

Ein möglicher weiterer Grund die Szene herauszuschneiden, über den ich hier nur vermuten kann, ist, dass es selbstverständlich ein Wagnis gewesen wäre, den heiteren Ton mit einer kurzen Erzählung des Scheiterns zu unterbrechen. Ein Crowdfunding-Video soll Lust machen und nicht für die Kritik des Publikums sorgen, es soll überzeugen und keine Zweifel sähen. Gerade eben habe ich noch argumentiert, dass Angst und Schwächen des Publikums nur adressiert werden sollten, um Sicherheit zu versprechen. Es gibt auch kein uns bekanntes Crowdfunding-Video, dass einen solchen Tiefpunkt, eine solche Erzählung des Scheiterns, jemals versucht hätte, und an dessen Erfolg wir uns selbst angesichts unserer eigenen Angst vor einem Scheitern und den Schwächen, die dazu führen könnten, Sicherheit hätten versprechen können. Als Dramaturg muss ich diesen fehlenden Mut bedauern.
Kritik und Zweifel im Tiefpunkt sind Selbstkritik und Selbstzweifel.
Die Kritik und die Zweifel, zu denen das Drama im Tiefpunkt führt, sind Selbstkritik und Selbstzweifel der Figur. Sie hat das Problem verkannt und Fehler gemacht. Jetzt muss sie das Problem erkennen und ihre Fehler korrigieren. Erst diese Sensibilisierung und die anschließende mutige Entscheidung, es trotz des Scheiterns und seiner Schmerzen noch einmal zu versuchen, führt sie in das Happy End, das wir so lieben. Ich möchte argumentieren, dass trotz fehlender Beweise eine solche Botschaft auch ein Crowdfunding-Video stärken kann. Die Botschaft: Wir wissen, dass der Weg nicht nur Spaß macht, sondern auch schwierig ist. Wir sind diesen Schwierigkeiten begegnet. Wir haben nicht einfach aufgegeben. Wir haben diese Schwierigkeiten überwunden. Wir haben aus diesen Schwierigkeiten gelernt.

Eine solche unangenehme Wahrheit kann Vertrauen in die Ehrlichkeit der Initiatoren schaffen. Ein solcher Widerstand gegen Rückschläge kann Vertrauen in die Verlässlichkeit der Initiatoren schaffen. Eine solche Bereitschaft der Initiatoren dazu, Fehler zu erkennen und zu korrigieren, kann Vertrauen in die Zukunftsfähigkeit des ganzen Projektes schaffen. Eine Erzählung sollte immer einen Hochpunkt enthalten, in dem unmittelbar erfahrbar wird, wie sich die Welt für die Figur bzw. das Publikum zum Besseren verändern kann. Sie sollte, behaupte ich als überzeugter Dramaturg, aber immer auch einen Tiefpunkt enthalten, von dem aus erzählt werden kann, wie es trotzdem wieder nach oben ging. Vor ein paar Jahren beteiligte ich mich an einem Schülerprojekt für kurze Filmportraits von Berufsbildern und die meiner Meinung nach wichtigsten Fragen waren: Was war das schönste Erlebnis in deinem Beruf? Was war das schlimmste Erlebnis in deinem Beruf – und warum hast du danach weitergemacht? Natürlich können wir versuchen, Negatives auszublenden, aber es ist unehrlich und schädlich, weil es verhindert, dass wir alle daran lernen können.

Ein letzter Punkt, zu dem ich mich kurz äußern möchte (ich komme mir langsam vor, wie Monty Python im Spanish Inquisition-Sketch: ich kann meine angekündigte Beschränkung auf eine Anzahl von Artikeln oder – wie hier – Themen einfach nicht einhalten) ist die Arbeit mit mehreren Autorinnen und Autoren. Es gibt bestimmte Vorbehalte gegen eine solche Zusammenarbeit, es wird oft argumentiert, mehrere Autorinnen und Autoren würden dabei ihre jeweilige künstlerische Radikalität ausgleichen und das Ergebnis sei voller Kompromisse, auf die sich alle einigen können, die dadurch aber jede Aussagekraft verlören. Ich glaube nicht, dass das notwendig stimmen muss. Ich glaube der Schritt in die künstlerische Radikalität und damit die künstlerische Qualität wird, wie im letzten Artikel beschrieben, dann gemacht, wenn das methodische „Zum-Funktionieren-Bringen“ der Arbeit verlassen und darüber hinaus gegangen wird. Dieser Weg kann allein, aber eben auch gemeinsam beschritten werden. Der mögliche Vorteil der pluralistischen Arbeit: Die vielen und vielseitigen Ideen der vielen und vielseitigen Autorinnen und Autoren bieten dem Publikum viele und vielseitige Möglichkeiten sich anzuschließen – von dort aus kann es dann auch in einer künstlerische Radikalität geführt werden.
Ein Call To Action steht nicht am Ende des Videos, er ist das Video.
Wie funktioniert nun also die Dramaturgie von Crowdfunding-Videos? Es hilft wie hier und im ersten Teil des Artikels beschrieben, den Überzeugungsprozess als Call To Adventure des ersten Aktes eines Dramas zu verstehen. Hier irren die Ratgeber, die ich im Internet gefunden hatte: Ein Call To Action steht nicht am Ende eines Videos, er ist das Video. Es ist die Benennung (Erregendes Moment, Catalyst) und Erörterung eines Problems, die Überzeugung zur Einsicht in dieses Problem (Refusal of the Call) und ein Angebot eines Plans zu seiner Lösung (Meeting With the Mentor, Supernatural Aid). Es ist die Motivierung des Publikums durch das Schaffen einer Erwartung an eine positive Veränderung als Folge der Entscheidung für das Projekt, und an eine negative Veränderung als Folge einer Entscheidung gegen das Projekt. Desto besser das Publikum unter anderem mit seinen Stärken und Ängsten bekannt ist, desto besser kann es dieser Call adressieren.

Ein Crowdfunding-Video ist aber eben auch mehr als diese Erzählung, es hat eine Form, es ist ein Video. Hier können Schritte helfen, die ich im zweiten Teil der Artikelserie beschrieben habe: Das Entwickeln filmsprachlicher Ideen zu den identifizierten Themen des Projekts. Jede gute Idee (zur Erinnerung: nicht die erstbeste, sondern die beste aus zehn!) ist ein Ausweis der Kompetenz der Initiatoren und unterstützt so den inhaltlichen Plan und das Vertrauen des Publikums in sein Gelingen. Hier können vielleicht auch meine Überlegungen zur Dramaturgie von YouTube-Videos weiterhelfen.

Die Crowdfunding-Kampagne von Trink—Genosse hat gerade erst begonnen und es bleibt abzuwarten, ob sie Erfolg haben wird oder nicht. Und leider wird sich kaum bemessen lassen, ob dieser mögliche Erfolg dann im Video begründet ist oder in einem der vielen anderen Versuche, ein Publikum zu überzeugen. Wir wissen, dass Spielfilmdramaturgie funktioniert, und hoffentlich konnte ich hier plausibel machen, wie diese Spielfilmdramaturgie auch Crowdfunding-Videos in Inhalt und formaler Struktur unterstützen kann. Neben meiner persönlichen Vorstellung, dass sich unsere gesellschaftliche Ablehnung von demokratischen Entscheidungsfindungen und den daraus resultierenden Kompromissen vielleicht durch solche Projekte lösen lässt, in denen das hautnah erlebt werden kann, ist es natürlich auch die schöne Möglichkeit, künftige Gespräche mit Produzentinnen und Produzenten in meiner eigenen Bar stattfinden zu lassen. Vielleicht finden unsere Leserinnen und Leser ja auch solche Anknüpfungspunkte. In diesem Sinne: »Hey, hast du nicht auch schon mal davon geträumt, deine Bar zu eröffnen? Deinen Club, deine Kneipe, dein Café?«

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