Zur Dramaturgie von Crowdfunding-Videos am Beispiel von Trink—Genosse (1/2)

Videoclips zu Crowdfunding-Kampagnen sind nicht das übliche Betätigungsfeld eines Film- und Fernsehdramaturgen. Sie sind nicht fiktional, nicht abendfüllend, und folgen keiner künstlerischen, sondern einer klar wirtschaftlichen Intention. Aber so, wie wir auch Dokumentationen, Kurzfilme, Privatfernsehen und darin die Werbung dramaturgisch untersuchen, verstehen und beraten können, geht das auch bei einer modernen Crowdfunding-Kampagne. Dramaturgie ist wie alles andere immer größer als das von ihr bereits Bekannte. Ich habe mir einen Teil des Unbekannten angeguckt: Bei der kokreativen Entwicklung eines Crowdfunding-Clips für das Kölner Projekt »Trink—Genosse«, zur Gründung einer genossenschaftlichen Bar für Demokratieentwicklung.

Teil 1: Überlegungen zur Crowdfunding-Dramaturgie und der Ruf zum Abenteuer

Videoclips zu Crowdfunding-Kampagnen sind eine vergleichsweise junge Filmform: Das moderne Crowdfunding ist mit der Plattform Indiegogo jetzt zehn Jahre alt. Die frühesten Tipps für den Dreh eines Crowdfunding-Videos, die ich bei einer schnellen Internetsuche finde, sind von 2013. Die Hinweise sind auch heute noch eher grob: Kurz sollen die Clips sein, persönlich, nach Möglichkeit beschwingt, aufgenommen mit hochwertiger Technik, und zum Schluss soll ein Call To Action stehen – zumindest hier ein Element, in dem ein Hinweis auf Dramaturgie anklingt: Joseph Campbells Call To Adventure.

In ihrer Funktion sind die Videoclips der Werbung nah: Die Idee soll so attraktiv dargestellt werden, dass der Rezipient bereit ist, Geld dafür auszugeben. Allerdings kennt die Werbung die Lösung oft schon vor dem Problem. Crowdfunding-Clips hingegen nehmen sich oft mehr Zeit für das Identifizieren des Problems und die daran anschließende Inspiration zu seiner Lösung. Durch diese Diskussion berühren sie manchmal eine Filmform, bei der man eine Nähe zur Werbung vielleicht zuletzt vermutet hätte: Den Essayfilm. Und schließlich sind die Videoclips, weil es sich bei den Initiatoren der Kampagnen meist nicht um bekannte Marken handelt, gleichzeitig Imagefilme, die um Vertrauen werben. Dabei gibt es Berührungen mit dem dokumentarischen Film und journalistischen Fernsehformaten.
Crowdfunding als ein erzählerischer Austausch von Zielen.
Sowohl mit der Etablierung eines Problems und dem Angebot einer Lösung, als auch mit der Darstellung der Rolle der Initiatoren machen die Crowdfunding-Videos den Schritt zu uns ins Erzählen. Ein Crowdfunding ist dabei ein erzählerischer Austausch von Zielen, darüber, was wir wollen: Was die Initiatoren wollen und was die Spender wollen – oder eben nicht. Und Ziele erzählen wer wir sind: Unsere Anstrengungen (auch die finanziellen) sind die eigentliche Sprache unserer Motivationen; unsere Motivationen speisen sich aus unseren Erwartungen an das Erreichen des Ziels; unsere Erwartungen sind Ergebnis unserer Erfahrungen und zeigen, wie wir auf unsere Mitmenschen und die Welt blicken. Die Summe all dessen sind wir.

Dabei spielt der bereits erwähnte Call To Adventure aus Joseph Campbells Monomythos und Christopher Voglers Heldenreise eine Rolle. Denn Anstrengung ist Adventure: Ein Opfer von Ressourcen mit der Erwartung von höherwertigem Gewinn aber ungewissem Ausgang. Der Initiator hat sich bereits auf das Abenteuer eingelassen und versucht nun den Spender zu überzeugen, das auch zu tun. Er übernimmt dabei zuerst die Rolle eines Herolds, der zum Abenteuer ruft, etwa indem er das Problem darstellt. Dann begibt er sich klugerweise in die Rolle des Mentors, der bereits von seiner Erfahrung mit dem Schritt ins Abenteuer berichten kann, und seine Idee, seinen Plan, dem Spender als Hilfe (Supernatural Aid) zur Lösung des Problems anbietet.

Das soll für den Spender die Schwelle zum Abenteuer senken und ihm ihr Überspringen erleichtern. Das Abenteuer: Mitmachen, Spenden, Kaufen. Dabei macht es für den Initiator Sinn auch den Schritt der Heldenreise zwischen Call und Mentor zu beachten: die mögliche Weigerung: Welche Werte schätzt der Spender möglicherweise mehr, als die Lösung des beschriebenen Problems? Vielleicht kann der Initiator den Widerspruch auflösen oder einen klugen Kompromiss anbieten. Die Darstellung des eigenen Abenteuers und seiner Bewältigung verschafft ihm dafür die nötige Glaubwürdigkeit und ist der Imagefilm-Teil des Clips, ein Plot zur eigenen Geschichte.
»Was ist Trink—Genosse? Was kann Trink—Genosse? Was wird Trink—Genosse?«
Doch dieser Call To Adventure ist schon der nächste Schritt. Zu Beginn steht die Story der Initiatoren, die nicht nur der Kommunikation nach Außen, als Ausgangspunkt für den Crowdfunding-Clip, aber zum Beispiel auch für die erste Pressemitteilung dienen kann, sondern auch der Verständigung der Initiatoren untereinander: über die gemeinsamen Ziele und damit die gemeinsame Identität (s.o.: Was wir wollen erzählt wer wir sind). Passend dazu fragten sich die Initiatoren bei Trink—Genosse – zu dem Zeitpunkt noch ohne dramaturgische Beratung aber mit gutem dramaturgischen Gespür: Was sind wir? Was können wir? Und was werden wir?

Dazu kurz: Was ist Trink—Genosse, was können sie und was werden sie? Trink—Genosse ist ein Projekt zur Gründung einer Genossenschaftskneipe in Köln. Die Genossinnen und Genossen wollen sich in einem ständigen kokreativen Prozess demokratisch mit ihrer und miteinander über ihre Kneipe auseinandersetzen. Ermöglichen und vereinfachen soll das das sogenannte Design Thinking aus dem Service Design: Methoden zum gemeinschaftlichen entwerfen und gestalten. Ein anderer Writers‘ Room. Es ist erst die juristische und dann die gestalterische Aneignung eines Stück öffentlichen Raumes, der dann öffentlich wirksam werden und »Straße, Stadt, Demokratie, Wirtschaft und Wirtschaft« verändern soll. Hier geht es zur Kampagne.

Die Motivation zur Teilnahme daran, zur Anstrengung dafür, ist Aufgabe sowohl des Videos der Genossinnen und Genossen, als auch der Videos aller anderen Crowdfunding-Kampagnen. Die Dramaturgie weiß, wie wir Figuren motivieren. Sie weiß das aus dem ersten Akt jedes Dramas. Der erste Wendepunkt, die Entscheidung des Protagonisten zu handeln, ist das Ziel dieser dramatischen Bewegung auf und ab, bzw. umgekehrt: ab und auf. Zuerst das Problem, dann das Lösungsangebot und alle Hilfestellung, die die Schwelle in den zweiten Akt senkt: Mit dem Ende des Videos liegt der Ball im Feld des Spenders. Die Qualität des Videos bemisst sich an seiner Motivation, diesen Ball zu spielen. Ob Trink—Genosse das gelungen ist, mag der Leser selbst entscheiden.
Die Dramaturgie weiß, wie wir Figuren motivieren.
In einem anderen Projekt bürgerschaftlichen Engagements habe ich die Antworten, nach denen die Trink—Genossen mit ihren drei Fragen suchten, anders erfragt, und dabei auf eine persönliche Formulierung geachtet. Das Zusammenführen, Kommunizieren und Verbinden der verschiedenen individuellen Antworten ist dann ausdrücklich erst der nächste Schritt: Das soll die Vielfalt der Gruppe in ihrer Einheit berücksichtigen. Denn diese Vielfalt ist wertvoll, sowohl für das individuelle Wohl der gegenwärtigen Mitglieder in der Gruppe, als auch für den Anschluss künftiger Mitglieder: Vielfalt zeigt Möglichkeiten zur Verbindung auf ohne Notwendigkeit zur Verbindung zu implizieren. Soll heißen: Desto vielfältiger die Ideen sind, die die Gruppe anbietet, desto eher finde ich eine, die auch meine ist, und desto vielfältiger die Ideen sind, die die Gruppe in sich vereinen kann, desto eher gibt sie mir das Gefühl, dass nicht all meine Ideen mit denen der Gruppe übereinstimmen müssen, damit ich mich ihr anschließe.

Entsprechend meiner Beschreibungen von Anstrengung, Ziel, Motivation, Erwartung, Werten und Identität formulierte ich die Fragen von Trink—Genosse, »Was sind wir? Was können wir? Und was werden wir?«, für die andere Bürgerinitiative also folgendermaßen um: Welches Ziel verfolge ich? Was ist meine Motivation? Was sind meine Erwartungen an meine Wirkung? Welchen Blick auf den Menschen und die Welt zeigt sich in dieser Erwartung? In welchen Erfahrungen von mir begründet sich dieser Blick? Zu welchen Anstrengungen bin ich bereit um das Ziel zu erreichen? Welche Wertschätzung drückt sich darin aus?

Im zweiten Teil dieses Artikels, der übermorgen erscheint, werden die Trink—Genossen sich ihre drei Fragen beantworten, und es wird darum gehen, wie dann diese Ideen ganz allgemein an ein Publikum vermittelt werden können, und ganz speziell, wie das in einem Crowdfunding-Video geschehen kann und bei Trink—Genosse geschehen ist.

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