Eine Stunde früher aufstehen und morgens schreiben

Jeder, der schon länger Autor ist, weiß aus Erfahrung, welche seine beste Zeit zum Schreiben ist. Journalisten müssen immer schreiben können, quasi auf Knopfdruck. Sachbuchautoren, wenn der kreativere Teil der Erforschung und Findung von Ideen und Struktur geleistet ist, dürften dann auch wie Journalisten reagieren können.

Von den großen Schriftstellern weiß man die unterschiedlichsten Tages- und Nacht-zeiten. Karl Kraus konnte nur nachts, auch weil er lärmempfindlich war. Thomas Mann schrieb jeden Tag von 8 bis 12. Wie wohl die meisten seiner Kollegen in der ersten Tageshälfte.

Kreative Autoren, die Fiktion schreiben: Erzählungen, Romane, Dramen, Drehbücher, was ist deren spezielle Situation? (Lyrik, die Krone der Dichtkunst lassen wir mal außen vor.) Und, wichtig, was kann man denen raten, die noch am Anfang stehen, vor allem, wenn sie, was die Regel sein dürfte, noch einer beruflichen Tätigkeit nachgehen müssen?

Die sind gemeint und da gibt es einen Erfahrungswert: Schreiben – morgens vor allen anderen Tätigkeiten! Selbst wenn man dafür früher aufstehen muss. Warum nicht abends, nach der Arbeit und den Tagespflichten, nach einem guten Essen, mit einem Glas Rotwein? Wenn die Nacht kommt und der Lärm nachlässt?
Diese Mischung aus Freude und Ärger, Erfolg und Misserfolg
Weil der Kopf voll ist mit all dem Zeug, das man in den letzten 12 Stunden erlebt hat, voll mit dieser Mischung aus Freude und Ärger, Erfolg und Misserfolg. Weil der Kopf schon dabei ist, das alles zu ordnen und zu verarbeiten oder zu verdrängen.

Was brauchen wir zum kreativen Schreiben? Jeden Morgen einen Wieder-Neuanfang. Frische, Bereitschaft und die Energie, tiefer in unsere Sache eindringen zu können. Und wir brauchen dazu auch die Hilfe der nächtlichen Gehirnarbeit.

Das Gehirn verarbeitet in der Nacht das Gute und das Schlechte des Tages. Jeder, der seine Träume beobachtet, weiß das mit Sicherheit. Der Volksmund der Weisheiten nennt das: eine Nacht drüber schlafen. Am Morgen sieht es dann schon anders aus.

Diese Mechanismen können wir auch für unsere kreative Schreibarbeit benutzen. Machen wir uns am Abend vor dem Schlafengehen klar, wo wir in unserem Werk stehen und wie es weitergehen soll oder kann. Haben wir unser Schreib-Tagespensum mit einem Problem abschließen müssen, weswegen wir vielleicht sogar aufgehört haben, dann sollten wir am Abend vor dem Zu-Bett-Gehen dieses Problem formulieren, ruhig schriftlich.
Phantasie, Vorstellung, Rhythmusgefühl, alles, was in einem klingen muss um Fiktion gestalten zu können
Sehr oft wissen wir am Morgen nach dem Aufwachen die Lösung. Unser Gehirn hat sie uns im Schlaf gegeben. Und wir sind fähig weiter zu machen. Und die Frische des Morgens und unser von neuen Erfahrungen noch freies Gehirn sind ideal getunt für diese Art Arbeit, die von uns so viel fordert: unsere Phantasie, unsere konkrete Vorstellung, unser Rhythmusgefühl, ja alles, was in einem klingen muss, um Fiktion, das heißt ja Leben, gestalten zu können.

Morgenstund ist ideal, um in den Flow zu kommen.

Muss die Welt unseres Werkes wirklich getrennt und zu trennen sein von der Welt unseres Alltagslebens? Vielleicht nicht immer. Aber wenn wir schreiben, dann sollen wir hier im Werk sein. Und wir müssen das abschotten gegen alles andere. Es ist eine Frage der Konzentration. Keine E-Mails checken, nicht ans Telefon gehen, und sich nicht stören lassen von Partnern und Kindern.

P.S.: Es gibt aber doch eine Ausnahme-Möglichkeit der Nicht-Abschottung: Wir setzen uns in ein Café, möglichst Straßencafé, betrachten das Leben, das sich da abspielt, schauen auf die Menschen und fragen uns, ob irgendwas, was wir da sehen und hören mit unserem Film zu tun haben könnte.
Es ist schon verwunderlich, wie schnell wir da auf eine Idee kommen werden…

8 Comments

  1. Wall-E

    Das gilt für Lerchen, aber nicht jeder ist eine Lerche. Für alle anderen ist der Tipp ungesund und falsch, weil sie gegen ihren Schlaftyp ankämpfen müssen, wenn sie früher aufstehen müssen.
    Das ist für mich eine Scheinargumentation. Das wirkt auf mich so, dass jemand seine Lösung gefunden hat und versucht zu erklären, warum sie für alle richtig ist.

    27. Juli 2017
  2. Michael Füting

    Lieber Wall-E,
    unabhängig vom Schlaf-Typ können Sie kaum bestreiten, dass es ein Unterschied ist, ob der ganze „Geistesapparat“ frisch und neu ist oder ob er voll ist mit Eindrücken des Tages. Das ist der Knackpunkt meiner Argumentation…

    31. Juli 2017
  3. Wall-E

    Meistens kommen die guten Ideen in einem Dämmerzustand vor dem Schlafen, dann muss man Notiz und Bleistift bereit halten, um die Ideen zu notieren.
    Genauso gut kann ein Spaziergang oder eine Serienepisode helfen, um den Kopf freizubekommen.
    Man schreibt, wenn man schreiben kann, und das kann bei unterschiedlichen Menschen an einem unterschiedlichen Zeitpunkt stattfinden. Vielleicht sollte man dabei auf Alkohol- und Drogenkonsum (hier Rotwein) aller Art verzichten, denn der vernebelt tatsächlich das Gehirn.

    2. August 2017
  4. Michael Füting

    Ach Wall-E, mag ja sein, dass Sie ein großartiger Schreiber sind – ich muss aber bezweifeln, ob Sie lesen können. Alles, was Sie auch sagen, kommt ja bei mir vor. Natürlich kommen Ideen zu jeder Zeit, Dämmerzustand und Schlaf und Notieren kommt bei mir auch vor.
    Tun Sie doch nicht so, als wenn wir grundsätzlich anderer Meinung wären.
    Mein Artikel wendet sich ausdrücklich an Schreibanfänger, die noch einem anderen Beruf nachgehen und denen rate ich, eine Stunde früher aufstehen. Das sind übrigens Erfahrungen aus meiner Tutorenzeit in Drehbuchwerkstätten.

    2. August 2017
  5. Das hieße bei mir dann kurz nach 4 Uhr aufstehen … Nee, da bin ich weder aufstehfähig noch intelligent genug für Texte. Wer kommt immer auf solche Vorschläge? Das kann doch nur jemand sein, der erst um 8 Uhr oder später aus den Federn muss.

    11. August 2017
  6. Michael Füting

    Ey Leute, das ist mir jetzt langsam zu blöd. Warum wird der Titel aus dem Zusammenhang – auch Titel gehören zum Kontext – gerissen. Lest doch bitte den ganzen Text…

    12. August 2017
  7. Wenn ich heute morgen zum Schreiben eine Stunde früher aufgestanden bin, um fünf, muss ich dann morgen eine weitere Stunde früher aufstehen, um vier, und übermorgen dann um drei? Und was mach ich, wenn ich in 24 Tagen meine ursprüngliche Zeit zum Aufstehen wieder eingeholt habe?

    Liebe alle, Michael hat Recht, bitte lest doch den Artikel. Und wenn euch eine Schreibtechnik nicht zusagt, gibt es hier im Blog dank Michael und Christine eine große Auswahl an Alternativen: https://filmschreiben.de/ressourcen/schreibtechniken-artikel/

    21. August 2017
  8. Lieber Michael

    Entgegen aller negativen Kommentare möchte ich dir für diesen Artikel danken! Ich scheine auch „eine Eule“ zu sein, kann mich aber durchaus dazu durchringen früh aufzustehen. (Muss ich ja auch wegen meiner Arbeit und dem Studium.) Daher verstehe ich das Rumgemeckere der anderen nicht. Deine Sichtweise, nämlich, dass der Geist morgens am frischsten ist und deine Idee, dass der Kopf Probleme, welche sich beim Schreiben ergeben haben, nachts noch einmal ordnet, finde ich genauso richtig wie genial. Du hast mir damit nämlich gerade die Motivation gegeben, ab jetzt immer morgens zu schreiben, auch wenn es mühsam ist, früher aufzustehen! Daher möchte ich dir herzlich für diesen Artikel danken, der übrigens nicht das 0815-Abgespule aller anderen „schreib früh am Morgen und du hast Erfolg“-Artikel ist. Hab einen schönen Abend. Lieber Gruss, Alexa.

    20. Juni 2020

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