Erster Eindruck: Astrid

Aktuelle Kinofilme dramaturgisch zu untersuchen ist schwierig, weil wir sie dafür eigentlich mehrfach sehen müssten. Dafür fehlen die Ressourcen und manchmal die Geduld. Deshalb ein kurzer erster dramaturgischer Eindruck, der weder umfassende Vollständigkeit, noch analytische Detailtiefe verspricht – dafür spontane Ehrlichkeit und die Konzentration aufs Wesentliche. Heute: Astrid, Buch: Kim Fupz Aakeson und Regisseurin Pernille Fischer Christensen.

Die sechzehnjährige Astrid wird Volontärin bei der örtlichen Ein-Mann-Zeitung. Ihr Chef Blomberg lässt sich gerade von seiner zweiten Frau scheiden; Astrid und er gefallen einander, schließlich wird sie schwanger. Blombergs Noch-Ehefrau erfährt davon und bringt ihren Mann vor Gericht. Astrid entscheidet, ihren Sohn in Dänemark zur Welt zu bringen, wo sie bei der Geburt keinen Vater angeben muss, und das Kind in einer Pflegefamilie bleiben kann bis die Scheidung vollzogen ist. Doch das Gerichtsverfahren dauert an. Blomberg wird tatsächlich verurteilt, doch bloß zu einer Geldstrafe. Astrid ist empört: Drei Jahre ohne ihren Sohn um einer bloßen Geldstrafe willen. Sie verschmäht Blomberg, als der um ihre Hand anhält. Stattdessen nimmt sie einen Job als Sekretärin an und verdient Geld um ihren Sohn zu sich zu holen. Doch der kennt sie nicht und will bei seiner Pflegemutter bleiben. Astrid willigt schweren Herzens ein und holt ihn erst zu sich, als die Pflegemutter im Sterben liegt. Erst als ihr neuer Chef – ein Herr Lindgren – ihr freigibt, um sich um ihr erkranktes Kind zu kümmern, nähern sie Mutter und Sohn an. Und schließlich sind sogar Astrids Eltern bereit, ihren Enkel zu empfangen.

Biographische Erzählungen sind schwieriger zu dramatisieren, als gänzlich frei erfundene, keine Frage. Astrid kämpft mit diesem Problem und verliert gelegentlich, auch aus eigenem Verschulden – aufgrund eines seltsamen Desinteresses an den Entscheidungen, Anstrengungen und Gefühlen seiner Hauptperson. Dass die uneheliche Geburt eines Kindes für die Mutter ein Problem darstellt, ist ein klares erregendes Moment, eine eindeutige Störung in quasi jedem Status Quo. Dennoch nimmt sich der Film viel Zeit für seinen ersten Akt. Das dramatische Ziel ist erst spät etabliert: Astrid will ihren Sohn zurück. Die beiden Wege, auf denen sie das zu erreichen sucht, sind dann allerdings nur nachlässig erzählt.

Da ist zum einen Blomberg, der Astrid ein Leben mit ihrem Sohn verspricht, auf dessen Scheidung sie aber Jahre lang warten muss. Das ist ein erzählerisches Problem, denn Astrid kann durch eigene Anstrengung gar nichts erreichen, sie bleibt passiv, der eigentliche Protagonist, und auch die Figur mit dem spannenden inneren und äußeren Konflikt ist Blomberg. Als es dann endlich soweit ist, scheint Astrid die Entscheidung gegen eine Ehe mit Blomberg und damit gegen das schnelle Heimholen ihres Sohnes nicht besonders schwer zu fallen. Die Entscheidung wird nicht einmal erzählt: in ihrem letzten Satz dazu an ihn heißt es bloß, sie müsse über seinen Antrag erst nachdenken.

Da ist als zweites der eigene Beruf, mit dem Astrid das Heimholen ihres Sohnes jetzt selbstständig finanzieren will. Sie hat eine Ausbildung zur Sekretärin gemacht, hat sich beworben und vermutlich gegen andere Bewerberinnen behauptet: Das sehen wir nicht bzw. kaum. Auch hier, wo Astrid einer Anstrengung ob des Ergebnisses zumindest dringend verdächtig ist, verzichtet der Film gänzlich darauf, diese darzustellen. Diesmal fällt Astrid die Entscheidung, ihren Sohn bei seiner Pflegemutter zurückzulassen nicht leicht, doch ohne ihre Anstrengung genau das doch endlich zu erreichen, fehlt uns die glaubwürdige Information um den Wert zu erahnen, den das Zusammenleben mit ihrem Sohn denn nach all den Jahren der Entfremdung noch hat.

Mit dem Desinteresse an der Anstrengung bzw. ihrer Darstellung geht bei Astrid auch ein Desinteresse am Konflikt einher. Wird die junge Astrid im ersten Akt ausgiebig als jemand dargestellt, der gern bereit ist, gegen Ungerechtigkeit und besonders Ungleichbehandlung der Geschlechter zu agitieren, scheint sie diese politische Energie später völlig verloren zu haben. Der Konflikt mit Blomberg geht nicht über etwas geäußerte Empörung hinaus, zuletzt wird gar eine stille, nie erzählte Versöhnung behauptet. Der Konflikt mit den Eltern, die das Enkelkind nicht anerkennen, gipfelt in ein paar verhaltenen Schmerzensschreien. Der Konflikt mit dem eigenen Sohn, der eine andere Mutter will, führt bloß zu einem strengen „Du isst, was auf den Tisch kommt.“ Der innere Konflikt mit der eigenen weiblichen, jugendlichen und finanziellen Machtlosigkeit reicht gerade mal für einen Kater.

Ähnlich wie etwa in Die Entdeckung der Unendlichkeit lässt das Feigheit der Filmemacherinnen und Filmemacher vermuten. Astrid muss sympathisch bleiben, komme was wolle. Wut, ganz gleich wie wichtig und gerechtfertigt, etwa gegen den verantwortungslosen Blomberg, etwa gegen die Eltern, die sie im Stich lassen, etwa gegen den undankbaren Sohn, etwa gegen die repressive Gesellschaft, etwa gegen sich selbst und die eigenen Entscheidungen, hat keinen Platz in diesem Feelgood-Movie. So eine Romantisierung der eigenen Figur ist der problematischere Irrtum als eine Dramatisierung der Realität, die doch nur heißt Wahrheit und die Wahrheit, wie die erste sich anfühlt, zu verdichten. Das wäre biographisch, das wäre filmisch, das wäre ein Biopic. Man muss den Autorinnen und Autoren künftiger biographischer Abenteuer mehr Mut wünschen – und ihn von ihnen verlangen.

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