Aktuelle Kinofilme dramaturgisch zu untersuchen ist schwierig, weil wir sie dafür eigentlich mehrfach sehen müssten. Dafür fehlen die Ressourcen und manchmal die Geduld. Deshalb ein kurzer erster dramaturgischer Eindruck, der weder umfassende Vollständigkeit, noch analytische Detailtiefe verspricht – dafür spontane Ehrlichkeit und die Konzentration aufs Wesentliche. Heute: Aquaman, Buch: Will Beal und David Leslie Johnson-McGoldrick nach der Comicfigur von Paul Norris und Mort Weisinger.
Ein Leuchtturmwärter und eine Frau aus einem Unterwasserreich bekommen ein Kind, bevor sie zurück in eine arrangierte Ehe gezwungen wird: Aquaman. Als erwachsener Superheld rettet der eine U-Boot-Besatzung von Piraten, unterlässt es aber, den Vater des Piratenkapitäns vor dem Tod zu retten. Von der Verlobten seines Halbbruders, des neuen Unterwasserkönigs, der Unterwasserkaiser bzw. »Ocean Master« werden will, wird er gebeten, Anspruch auf den Thron zu erheben um einen Krieg der Unterwasserreiche mit den Menschen zu verhindern. Dafür soll er einen magischen Dreizack finden, wird aber zunächst von seinem Halbbruder festgenommen, dann von dessen Verlobten gerettet. Er findet in der Sahara einen Hinweis, dann auf Sizilien einen weiteren, und schließlich an einem magischen Unterwasserort nicht nur den Dreizack, sondern auch seine totgeglaubte Mutter. Nach einem Weltraumkampf unter Wasser, einem Kuss mit der Ex-Verlobten seines Bruders, einem Duell mit seinem Bruder und dem Sieg über ihn hat Aquaman triumphiert. Seine Mutter kehrt zum Leuchtturmwärter zurück und irgendwo wacht der rachsüchtige Piratenkapitän auf für die Fortsetzung.
Ich habe diesen Film in früheren Fassungen dieses Artikels auf viele erdenkliche Arten verrissen. Man kann sich über das Desinteresse der Macher an ihrem eigenen Film und an ihrem Publikum nur empören; es fällt schwer, nicht gleich Verachtung zu vermuten. Aus dem Land vieler bedeutender Dramaturgietheorien kommt ein Stück Film, der jedes dramaturgische Verständnis, ja jeden dramaturgischen Gedanken vermissen lässt.
Unter Filmdramaturgie verstehen wir ja Lehren darüber, wie zufälligen Handlungen eine gemeinsame Bedeutung gegeben werden kann, und wie mit guter Dramaturgie diese Bedeutung gesteigert und damit ihre Wirkung vergrößert werden kann. Aquaman hat keine Wirkung und er hat auch keine Bedeutung. Das so harsch zu formulieren fällt mir schwer, weil ich mir nicht vorstellen kann, dass es nicht irgendwo in dem Kreativitätsschlund der modernen Blockbusterproduktion jemanden gibt, der sich angestrengt hat, der gegen all Widerstände sein Bestes gegeben hat. Für ein solches Ergebnis.
Zu viele der Verantwortlichen haben es jedoch nicht einmal versucht – soviel lässt sich mit großer Sicherheit sagen. Das muss gar nicht nur am Drehbuch liegen, das verzweifelt versucht viel zu viel Geschehen in einen einzelnen Film zu quetschen und darüber die Geschichte des Geschehens ganz vergisst, ja darüber geradezu besinnungslos wird. (Was schon deshalb irritiert, weil eine Fortsetzung ja offenbar beabsichtigt ist.) Das liegt vermutlich auch an der Comicvorlage, die offenbar völlig uninspiriert den eigenen Ideen viele fremde erzählerische Floskeln bis zur Unkenntlichkeit beimischt.
Um mit dieser Rezension aber nicht wie in den vorangegangenen Fassungen im Verriss zu verharren, der genauso bedeutungslos wäre wie sein Gegenstand, muss das hier ein Versuch sein, aus Aquamans Fehlern zu lernen. Aquamans Fehler ist (neben vielen anderen), dass er ganz genau so erzählt, wie ein kleines Kind das tun würde: »Und dann Piraten«, »und dann Könige«, »und dann Laserwaffen«, »und dann mit Tieren sprechen!« Immer auf der Suche nach dem nächsten Höhepunkt, der den Zuhörer staunen lassen soll, aber ohne jedes Interesse an erzählerischer Kohärenz oder einer Auseinandersetzung mit den selbstgewählten Themen.
Die Southpark-Erfinder Matt Stone und Trey Parker empfehlen zwei Verbindungsworte zwischen einzelnen Handlungsschritten: »Therefore« und »But« um ein bloßes loses Nebeneinander wie in Aquaman zu vermeiden. Dieses »Therefore« ist die eine Herzkammer des Erzählens, weil es Kausalität und/oder Finalität behauptet. Das »But« ist die andere Herzkammer, weil hier der Konflikt entsteht. Erst in der Behauptung eines kausalen, finalen oder konflikthaften Zusammenhangs zwischen den Ereignissen entsteht überhaupt die Erzählung. Ohne diesen Zusammenhang ist es keine Erzählung, sondern Chronik.
Das gilt nicht nur für die Handlung, sondern auch die Erzählwelt. Denn auch die begreifen wir als Zwischenergebnis einer Erzählung: ihrer Geschichte. Dass beispielsweise allein die bewiesene Existenz einer Superheldin oder eines Superhelden die Welt nicht in dem Zustand belassen würde, wie wir sie kennen, wird in Reihen wie X-Men und Avengers thematisiert, in Aquaman völlig ausgeblendet. Umgekehrt erwartet das Publikum nicht nur eine Konsequenz aus den Abweichungen der Erzählwelt von der realen Welt, sondern auch eine Herleitung. Jede Superheldin, jeder Superheld hat seine Origin-Story, die die Superkraft begründet. Aquamans vielen verschiedenen Superkräften fehlt die. Statt eines »Therefore« gibt es immer nur ein weiteres »und dann«, »und dann«, »und dann«.
Potenzieren statt Addieren könnte ein mathematisch wenig korrekter, aber vielleicht einprägsamer Merksatz lauten. Die Frage an den Autor ist nie: »Was kannst du noch hinzufügen?« Sondern vielmehr: »Was kann (bzw. muss) sich noch daraus ergeben?« Die Aufgabe lautet nie: »Ergänze!« Die Aufgabe lautet: »Eskaliere!« Das ist Erzählen. Und alles andere ist es leider nicht. Erst wenn eine Bedeutung behauptet wird, Sinn gestiftet, dann findet Erzählung statt.
Zuletzt zwei Fragen. Eine verwunderte, nämlich wo denn bloß der seltsame Royalismus in den jüngsten Superheldenfilmen herkommt? Und eine zornige, nämlich wie man eigentlich immer noch so unfassbar verdammt ignorant sein kann, bei einem so riesigen Figurenpool genau drei Frauen zu besetzen: Die Mutter, die Schöne, und das Kind. Das Fazit dieses Films muss auch deshalb sein: Sie haben es nicht mal versucht.