Das Netz ärgert sich über die junge Journalistin Ronja von Rönne, und wie so oft wenn sich dieses Netz ärgert, kann man für den Anlass viel Verständnis haben, für den Ausdruck nicht. Auf solchen Wellen mitzuschreiben ist eine zweifelhafte Sache, deswegen habe ich versucht zu warten bis sie verebbt. Tatsächlich treibt der kleine Gedanke, den ich hier formulieren möchte mich schon seit Ende April um. Und tatsächlich ist Rönne Auslöser und Adresse.
Ein Zufall: Ich begegne Rönne auf dem Sehsüchte-Festival in Potsdam, drei Tage später höre ich ihren Namen erneut, in der Aprilausgabe der Anstalt. Ohne Adelsprädikat und Alliteration wäre mir die Gemeinsamkeit wohl gar nicht aufgefallen. Ich überprüfe es kurz, die Namen stimmen überein, auf der Website des Festivals ganz unten sind wird quasi Nachbarn.
Im Schreibsüchte-Wettbewerb um den besten Pitch hat Rönne ein Serienkonzept vorgestellt: Eine fiktive Nordseeinsel wird zur Psychiatrie für deutsche Prominente, die hoffentlich viel über sich selbst lachen können (wenn ich mich recht erinnere). Der Stoff ist nicht vielversprechender als die anderen, die Präsentation deutlich besser. In der Anstalt dann wird Rönne aus einem Artikel in der Welt zitiert, Stichwort Entsolidarisierung: „Mittlerweile ist der Feminismus eine Charity-Aktion für unterprivilegierte Frauen geworden…“
Wenn Naivität Missachtung ist, muss gespielte Naivität Verachtung sein.
Dieser Artikel ist der Anlass für die digitale Empörungswelle, Auslöser ist Rönnes Nominierung für den Ingeborg Bachmann-Preis. Auf den Artikel möchte ich eingehen, auf die Empörung nicht, das haben andere getan, zum Beispiel Annette Baumkreuz. Ich finde einen weiteren, ähnlichen Artikel von Rönne, in dem sie scheinbar naiv psychische Krankheiten verharmlost und verspottet. Es ist das selbe Problem, das Problem heißt Ignoranz.
Sie beruft sich auf diese Naivität. Im Feminismus-Artikel relativiert sie die ganze folgende Meinung gleich im zweiten Absatz „Ich habe einfach selbst noch nie erlebt, dass Frausein ein Nachteil ist.“ Ach so, na dann. Es ist eine scheinbare, gespielte Naivität, weil wir der Autorin wohl zutrauen können, dass sie sehr genau weiß, was sie da tut. Sie schreibt für Springer, also schreibt sie für das reaktionäre Springer-Welt/Bild.
Naivität ist Ignoranz. Wir kennen das aus der Dramaturgie: Ein Charakter entwickelt sich vom Verkennen zum Erkennen, von der Ahnungslosigkeit zur Anagnorisis, oft genug ist diese Ahnungslosigkeit jugendliche Naivität. Doch wenn Naivität also Missachtung ist, kann absichtliche, gespielte Naivität nur Verachtung sein. Wenn Rönne über eine Freundin in der Psychiatrie schreibt „Als man ihr noch nicht gesagt hatte, dass sie Probleme mit Entscheidungen hatte, hatte sie noch keine Probleme mit Entscheidungen“, oder über Feministinnen „Man kann dann keine „angry, white men“ mehr für sein Versagen verantwortlich machen“ schwingt dabei Verachtung mit. Ronja von Rönne ist zynisch.
Geschichten sind doch Ausdruck unseres Interesses am Menschen!
Und plötzlich klingt für mich die Idee mit der Psychiatrie-Insel, bei der deutsche Prominente sich über sich selbst lustig machen sollen, gar nicht mehr nach Spaß. Die lustige Idee aus dem Pitch-Wettbewerb, an die ich mich noch erinnern konnte, drei Tage später beim Schauen der Anstalt verstehe ich erst, wie sie gemeint ist. Sie klingt jetzt nach Ausbeutung, Missbrauch, Sadismus, Misanthropie.
Zynismus und Ignoranz disqualifizieren den Autor. Die journalistische Professionalität ist mir fremd, deswegen ist das folgende eine bloße Behauptung: Zynismus und Ignoranz disqualifizieren auch den Journalisten. Geschichten sind Geschichten über Menschen. Der Wunsch Geschichten zu erfinden, Geschichten wiederzugeben, Geschichten zu rezipieren ist Ausdruck unseres Interesses am/an Menschen. Ein Autor, ein Journalist, der Menschen verachtet? Undenkbar.
Geschichten entstehen durch Verständigung, entstehen aus Verständnis. Für so einen wahlweise altklugen oder altersweisen Satz bin ich mit meinen 25 Jahren (geboren in der Wende, wie es sich für einen Dramatiker gehört) zu jung. Aber das ist Ronja von Rönne ja auch, wenn sie mit 23 Jahren abschließend feststellt, dass sie noch nicht als Frau diskriminiert worden ist.
Ja, diese Überlegungen sind zwar sehr ernsthaft, aber richtig. Wer das denkt und schreibt, muss sich nicht Unlockerheit, gar Humorlosigkeit vorwerfen lassen – was
ja in unserer coolen Jetzt-Zeit gerne gemacht wird. Ich möchte noch einen Begriff einführen, für das was Stallmann meint: EMPATHIE.
Ohne das geht Schreiben gar nicht.
Kluge Leute kennzeichnen unser Jetzt und Heute mit dem Verlust von Empathie. Wo führt das hin?