Ob das was wird mit der international erfolgreichen deutschen Serie?

Die Frage, die in der Diskussion um den seit ein paar Jahren anschwellenden Serien-Hype regelmäßig gestellt wird, ist, wann es endlich (seit Derrick, möchte ich hinzufügen) die international erfolgreiche deutsche Serie gibt.

Momentan werden einige Kandidaten heiß gehandelt, u.a.:

BABYLON BERLIN, die fast revolutionäre Co-Produktion der (einstigen) Todfeinde ARD und SKY. Der acht- bis zwölfteiliger Krimi im Berlin der 20-er Jahre von Tom Tykwer, Hendrik Handloegten und Achim von Borries adaptiert die Romanreihe von Volker Kutscher. Das Budget nimmt es mit 25 Millionen Euro mit den international erfolgreichen Serien auf (THE WIRE: 1,5 Millionen Dollar / Folge, TRUE DETECTIVE: 1,6 bis 3,6 Millionen Dollar / Folge, MAD MEN: 2,3 bis 3 Millionen Dollar pro Folge, BREAKING BAD: 3 Millionen Dollar / Folge). Drehstart ist Mitte 2015.
Wann gibt es endlich die international erfolgreiche deutsche Serie?

BLOCHIN –DIE LEBENDEN UND DIE TOTEN , ein fünfteiliger Thriller von Matthias Glasner mit Jürgen Vogel, Jördis Triebel und Thomas Heinze. Sendetermin soll Ende 2015 sein. Die Serie lief komplett auf der Berlinale und hat einige schlechte Kritiken eingesteckt (u.a. in der ZEIT).

DEUTSCHLAND´83, ein achtteiliger Spionage-Thriller von RTL, geschrieben von Anna Winger, mit einem Budget von 1 Million Euro (und damit 200.000 Euro teurer als eine Folge von BORGEN), die erste deutsche Serie übrigens, die im us-amerikanischen Fernsehen gezeigt wird.

MORGEN HÖR` ICH AUF, ein vierteiliges ZDF-Mini-Drama, , geschrieben von Martin Eigler, Sönke Lars Neuwöhner und Sven S. Poser, laut ZDF-Programmchef Norbert Himmler in einem Interview mit der FAZ das deutsche BREAKING BAD, was alleine schon aufgrund von lediglich vier Folgen nur schwer vorstellbar ist. Allerdings wurde ihm dieser Vergleich mehr oder weniger in den Mund gelegt. Es gibt zwar eine auffallende Parallele – Bastian Pastewka als arbeitsloser Grafiker, der Geld fälscht, um seine Familie vor dem finanziellen Ruin zu bewahren –, aber sowohl Bastian Pastewka als auch die verantwortliche Redakteurin Elke Müller werden nicht müde zu betonen, dass es kein deutsches BREAKING BAD sein wird.

THE WALL, eine DDR-Spionage-Serie von Ziegler-Film in internationaler Co-Produktion, die mit einem US-Star besetzt und mit Showrunner und Writer´s Room entwickelt werden soll.

WEINBERG, ein sechsteiliger TNT-Mystery-Thriller, von der Produzentin Anke Greifeneder mit TWIN PEAKS verglichen, geschrieben von Arne Nolting und Jan Martin Scharf und einem Budget von über 3,5 Millionen Euro.

Die dramaturgische Qualität muss internationales Niveau haben.

Ob diese oder andere deutsche Serien in Zukunft international erfolgreich sein werden, hängt davon ab, ob zwei wesentliche Voraussetzungen erfüllt sind:

• Die dramaturgische Qualität muss internationales Niveau haben und sich also steigern.

• Die systemischen Bedingungen – also die Entwicklungs- und Produktionsstrukturen – müssen so gestaltet werden, dass sich eine solche dramaturgische Qualität entfalten kann. Denn dass unsere Autorinnen und Autoren die Kreativität und das Talent haben, diese Qualität zu liefern, steht außer Frage.

Was zeichnet international erfolgreiche Serien wie DIE SOPRANOS, THE WIRE, DIE BRÜCKE, BREAKING BAD, BORGEN, GAME OF THRONES, KOMMISSARIN LUND etc. dramaturgisch aus?

Zunächst einmal sind sie alle horizontal erzählt, ziehen also Handlungsstränge über mehrere Folgen, eine ganze Staffel und / oder die gesamte Serie. Dass horizontales Erzählen ein zentrales Merkmal dieser Serien ist, ist natürlich längst auch in Deutschland unumstritten. Bei jeder Serie, die seit einiger Zeit hier entwickelt wird und die den Anspruch hat, international erfolgreich zu sein, wird zuverlässig betont, dass sie selbstverständlich horizontal erzählt wird.

Top-Serien erzählen horizontal.

Doch mit horizontalem Erzählen alleine ist es nicht getan. Das ist zu plotorientiert gedacht. Die dramaturgische Qualität der Top-Serien zeichnet sich ja gerade dadurch aus, dass sie nicht wie die herkömmlichen (vertikalen) Serien den Fokus auf den Plot legen und die Figuren so gestalten, dass der Plot funktioniert, sondern viel stärker charakterorientiert und thema- bzw. werteorientiert entwickelt sind und die horizontalen Bögen so spannen, dass eine Charakterentwicklung stattfinden kann und ein starkes inhaltliches und ein universelles emotionales Thema transportiert werden.

Horizontales Erzählen ist keine hinreichende Bedingung für internationalen Erfolg, sondern lediglich ein notwendiges Mittel, und zwar ein Mittel, um komplexe, ambivalente Figuren zu erzählen, die eine Charakterentwicklung machen. Das ist ein weiteres – wichtigeres – Merkmal der international erfolgreichen Top-Serien. Sie erzählen mit ambivalenten Figuren konsequent charakterorientiert. Wenn die hier produzierten Serien das nicht schaffen, können sie die horizontalen Bögen noch so intelligent und aufeinander abgestimmt entwickeln, sie werden beim Publikum durchfallen und international erfolglos bleiben.

Top- Serien erzählen ambivalente Charaktere, die eine Charakterentwicklung machen.

Das dritte Merkmal ist die Thema- bzw. Werteorientierung. THE WIRE ist unter anderem auch deshalb so erfolgreich, weil jede Staffel ein gesellschaftlich relevantes, aktuelles und brisantes inhaltliches Thema behandelt – Drogen, Medien, Schulsystem, politische Wahlen, Gewerkschaften – und zugleich ein starkes universelles emotionales Thema – Institutionen versus Individuum – erzählt.

BREAKING BAD wäre nicht so erfolgreich, wenn es lediglich um einen Chemielehrer gehen würde, der sein Wissen anwendet, um Drogen zu produzieren, immer weiter in die Kriminalität abrutscht und skrupelloser wird. Ohne das emotionale Thema Familie / Gemeinschaft, aus dem sich der zentrale Konflikt ergibt, wäre BREAKING BAD schwach und leblos.

Die Beliebtheit von GAME OF THRONES hängt nicht unwesentlich davon ab, dass es ein aktuelles inhaltliches Thema – patriarchale Familienstrukturen und ihre Auflösung – und ebenfalls das emotionale Thema Familie / Gemeinschaft / Zugehörigkeit / Loyalität erzählt.
Top-Serien erzählen ein starkes inhaltliches und ein universelles emotionales Thema, aus dem sich der zentrale Konflikt ergibt.

Der zentrale Konflikt in BORGEN ist deshalb so gut, weil er sich aus dem inhaltlichen Thema „die drei Säulen der Demokratie: Politik, Zivilsphäre und Medien“ (Adam Price auf ARTE) und wieder dem emotionalen Thema Familie speist.

Interessant ist, dass viele international erfolgreiche Serien über das emotionale Thema Gemeinschaft / Zugehörigkeit / Loyalität / Vertrauen erzählen. Offensichtlich adressiert dieses Thema zurzeit weltweit beim Publikum ein zentrales Bedürfnis. Und das hat vermutlich schlicht und einfach mit dem aktuellen Zustand der Welt und der daraus erwachsenden großen Verunsicherung zu tun.

Vier dramaturgische Voraussetzungen müssen also erfüllt sein, um international erfolgreich zu sein: horizontales Erzählen, komplexe und ambivalente Charaktere, eine klare Charakterentwicklung und ein zentraler Konflikt, der sich aus einem starken inhaltlichen Thema und einem universellen emotionalen Thema ergibt. Dabei handelt es sich um kein entweder-oder, sondern um ein sowohl-als-auch. Bloße Plot-, Charakter- oder Themaorientierung reicht nicht. Die Geschichten, die eine erfolgreiche Serie erzählt, müssen sowohl charakterzentriert und werteorientiert als auch konfliktbasiert entwickelt sein.

In der Entwicklung eines Spielfilms kann eine einzige Autorin oder ein einziger Autor das bewerkstelligen. In der Entwicklung einer Serie mit mehreren hundert bis über eintausend Minuten Laufzeit nicht. Hier braucht es ein anderes Entwicklungs- und Produktionssystem: den Writer´s Room und den Showrunner, also die gemeinsame Entwicklung aller Drehbücher durch mehrere Autorinnen und Autoren bei geleichzeitiger absoluter Entscheidungsgewalt einer Person. Dass diese eine Person am besten der Schöpfer oder die Schöpferin der Serie ist – also ein Autor oder eine Autorin – haben die international erfolgreichen Serien hinlänglich bewiesen.

Um internationale Qualität zu erreichen braucht es einen Showrunner und einen Writer´s Room.

Camilla Hammerich, die Produzentin von BORGEN, formuliert es in einem ARTE-Interview so:

Der Autor ist das Herzstück, das innere Geheimnis des Erfolgs. Daher wird er vom Sender DR festangestellt und hat inhaltlich das letzte Wort. Alle verfolgen „eine Vision“, wie wir es nennen, und das ist die des Autors. Wir haben bei „Borgen“ alle für Adam Price gearbeitet und versucht, seine Vision umzusetzen.

Ein solches System in Deutschland einzuführen, wäre eine Revolution. Denn es würde die Umkehrung der bestehenden Hierarchien bedeuten: Der Showrunner hat die absolute kreative Freiheit und die kreative Entscheidungsgewalt. Redakteure und Regisseure sind ihm oder ihr untergeordnet. Einflussnahme auf die Drehbücher: nein. Regisseure inszenieren nach einem detaillierten Visualisierungs- und Regiekonzept die Drehbücher. Sind die Dreharbeiten beendet, ist ihr Job vorbei. Der Showrunner hat den Final Cut. Er ist es, der über Cast und Crew entscheidet. Die Aufgabe der Redakteure ist, ihm den Rücken frei zu halten. Mehr nicht. Aber das ist ja auch schon mehr als genug.

Ein solches System gibt es in Deutschland (noch) nicht. Es ist deshalb fraglich, ob die eingangs genannten Serien die dramaturgische Qualität erzielen können, die es braucht, um international erfolgreich zu sein. Das Showrunner-Prinzip wirklich einzuführen (und von Seiten der Sender nicht bloß so zu tun), bedeutet einen immensen Vertrauensvorschuss der Sender gegenüber den Autorinnen und Autoren. Ob es ihn – und die Abgabe von Macht – auf absehbare Zeit geben wird? Man darf es bezweifeln.

Der Showrunner ist kein Head-Autor. Er ist viel mehr.

Es gab zwar schon Versuche, Writer´s Rooms in Deutschland einzurichten, 2006 beispielsweise bei der ProSieben-Serie UNSCHULDIG mit dem vermeintlichen Showrunner Frank Weiß oder bei BLOCHIN von Matthias Glasner, der am Ende dann doch alle Bücher selbst schrieb. Beide sind jedoch gescheitert, zum Teil aus finanziellen Gründen. ProSieben wollte keinen vollwertigen Showrunner bezahlen, so dass Frank Weiß letztlich lediglich Head-Autor war und nicht der mächtige, alles überblickende Creator. Und das ZDF war (laut Glasners Aussage auf dem VeDra-Stoffentwicklungstag 2014) wohl auch nicht bereit, einen Writer´s Room angemessen zu finanzieren (siehe auch hier und hier).

Showrunner und Writer´s Room kosten mehr Geld, keine Frage. Aber es ist eine weitblickende Investition, die sich auszahlen kann. Die Writer´s Room-Autorinnen und Autoren der us-amerikanischen und dänischen Serien sind außerdem in der Regel fest angestellt. Auch darüber nachzudenken, könnte sich lohnen.

Showrunner und Writer´s Room kosten Geld und brauchen Vertrauensvorschuss.

David Chase – der Showrunner von DIE SOPRANOS – hat übrigens in den letzten drei Jahren der Show angeblich zehn Millionen Dollar pro Jahr verdient. Und Vince Gilligan – der Showrunner von BREAKING BAD – im letzten Jahr der Show angeblich 20 Millionen Dollar. So viel muss es in Deutschland zwar nicht. Aber wesentlich mehr als bisher haben unsere Autorinnen und Autoren auf jeden Fall verdient.