FSE18: Krieg für Kinder erzählen

Bei der Podiumsdiskussion, eher dem Werkstattgespräch, »Der Krieg und ich. Krieg für Kinder erzählen« bei der diesjährigen VeDRA-Tagung FilmStoffEntwicklung empfangen Dr. Eva-Maria Fahmüller und Dr. Rüdiger Hillmer (beide VeDRA) Autor und Regisseur Matthias Zirzow und Autorin Ramona Bergmann von der Dokudrama-Kinderserie Der Krieg und ich: Der zweite Weltkrieg aus Sicht von Kindern und Jugendlichen der beteiligten Staaten, in acht Episoden.

Sollte die Schwierigkeit Kinderfernsehen und Krieg zusammenzubringen nicht sowieso auf der Hand liegen, verdeutlichen Bergmann und Zirzow das Problem schon zu Beginn: Die Zielgruppe der Serie seien Kinder nicht ab zwölf Jahren, sondern um die zwölf Jahre, jeder Inhalt habe daher FSK6 entsprechen müssen, und das trotz Krieg. Ihre größte Sorge sei immer gewesen, Kinder nicht zu überfordern. Bergmann und Zirzow haben bereits Erfahrung mit diesem Drahtseilakt: zusammen haben sie die formal vergleichbare Kinderserie Kleine Hände im großen Krieg über Kinder im ersten Weltkrieg produziert.

Ob man Kinder schon in diesem Alter über Krieg informieren müsse, habe bei beiden Serien niemals wirklich in Frage gestanden, die eigentliche Frage sei nicht das Ob, sondern immer das Wie gewesen. Kinder würden mit Fragen zum Krieg oft allein gelassen; (wir) Erwachsene hätten da eine pädagogische Verantwortung. Aus dem Publikum kommt später Zustimmung: Die Generation der Kriegsenkel habe doch gezeigt, wie sehr sich Erfahrungen mit Krieg und die einhergehende Sprachlosigkeit über Generationen auf eine Familie auswirken könnten. Kinder (und Eltern) bräuchten solche professionellen Angebote.

Das Wie beantworteten Bergmann und Zirzow in ihrer Arbeit so: Jede Folge habe mehrere Ebenen, eine fiktionale für die Identifikation mit den jeweils erzählten Kindern, eine Modellbau-Ebene für eine beruhigende Übersichtlichkeit über das Geschehen, drittens Archiv-Material um durch deren Authentizität eine Brücke von der Fiktion in die Realität zu schlagen, und viertens, eine Neuerung nach der ersten Serie, eine Art Chorus-Element, in dem zwischen den jeweiligen Ebenen aus Tagebucheinträgen zitiert wird (ob fiktionale oder tatsächliche habe ich mir leider nicht notiert).

Es werden Ausschnitte aus zwei Folgen gezeigt, und an einer entzündet sich (mein) Widerspruch. Ein junger deutscher Kindersoldat führt seinen Trupp in den Krieg und den vermeintlichen Sieg, als sich Zweifel regen, der erste von ihnen angeschossen wird, und sie vom Feind umstellt sind, nimmt der Junge das Laken, das ihm eine alte Frau anbietet, kapituliert, und rettet so sich und seine Freunde (inkl. des Trupp-Bullys). Wenn doch Krieg nur so einfach wäre.

Tatsächlich kann doch Krieg für Kinder nur eine einzige Ohnmachtserfahrung sein. Die richtige Entscheidung treffen und dadurch das eigene Leben und auch noch das anderer retten? Das kann schon kaum ein erwachsener Zivilist im Krieg, kaum ein erwachsener Soldat – aber hier ein Kind? Selbstbestimmung und Krieg: es gibt wohl wenig, das sich so sehr widerspricht. Meine Befürchtung: Dass diese Darstellung eine Verantwortung behauptet; dass diese Darstellung impliziert, wer als Kind im Krieg gestorben sei, habe halt nicht die richtige Entscheidung getroffen, und sei irgendwie selbst schuld.

»Der Krieg und ich. Krieg für Kinder erzählen.« FilmStoffEntwicklung 2018, Foto: Andre Wunstorf
FilmStoffEntwicklung 2018, Foto: Andre Wunstorf

Dann hätte die Serie nicht nur ihre Aufgabe verfehlt, sie hätte nicht nur gerade nicht Krieg erzählt, wie er von Kindern erlebt wird, sie hätte darüber hinaus eine böse Gedankenfolge in Gang gesetzt, die beim alltäglichen Victim Blaming beginnt und bei der Verharmlosung des Holocausts aufhören kann. Ob das so ist, wie wahrscheinlich oder unwahrscheinlich das ist, kann ich kaum sagen, aber allein die Möglichkeit finde ich erschreckend.

Eine Nachfrage beruhigt mich nicht wirklich: Tatsächlich überlebt jede Protagonistin und jeder Protagonist der acht Folgen. Bergmann und Zirzow haben einen guten Grund: Ein solcher Tod breche die Identifikation, das Kinderpublikum würde sich dann emotional distanzieren. Das leuchtet ein, wirft aber die Frage auf, ob das dann noch Krieg ist. Wenn ich es richtig verstehe, werde außerdem bei allen Verlusten, die die Kinder in ihrem Umfeld erleben eine Hoffnung geweckt, die Betroffenen seien nicht tot, sondern nur im Chaos verloren gegangen und die Kinder würden sie wiedersehen.

Meine Kritik ist destruktiv: Ich kann nicht behaupten, es besser zu wissen oder sogar besser gemacht zu haben. Die Notwendigkeit, Kindern vom Krieg zu erzählen, wie ich sie oben angerissen habe, leuchtet mir ein. Mir fehlt der pädagogische und psychologische Rat um einschätzen zu können, was Kinder erfahren sollten und was nicht. Völlige Ohnmacht und Fremdbestimmung dürften zu den schlimmsten Erfahrungen gehören, die ein Kind (/Mensch) machen kann. Ärgerlich ist, dass sich die beiden Filmemacher über die Implikationen ihrer acht kleinen kleine Helden-Reisen keine Gedanken gemacht zu haben scheinen.

Der Versuch zweier quasi-konstruktiver Vorschläge, wobei die Serie ja längst fertig produziert ist: Zumindest die Hauptfigur der letzten Folge hätte vielleicht sterben müssen um das Muster zu brechen, aus dem schnell die falschen Schlüsse entstehen, weil jetzt am Ende der Serie emotionale Distanz doch erlaubt sein kann. Es gäbe außerdem Möglichkeiten, Kinder überleben zu lassen, ganz ohne dass sie selbst dafür verantwortlich sind, wie in Das Leben ist schön oder Children of Men. Es ist das zweite Mal bei diesem Tag der Dramaturgie, dass ich mich an mein Thema der Opferfilme erinnert fühle.

Immerhin: Die Ausstrahlung der Serie soll innerhalb eines pädagogischen Rahmenprogramms stattfinden. Zirzow und Bergmann denken außerdem über Folgeserien nach, etwa zum deutschen Kolonialismus und dessen Einfluss bis in die Gegenwart. Und als begeisterter Wissensvermittler kann ich auch trotz meiner hier geäußerten Vorbehalte gegenüber dem Artefakt solche Bemühungen ja nur begrüßen. Und so gehe ich etwas versöhnt aus der (nebenbei: übermoderierten) Veranstaltung.

Leserinnen und Leser, die am Tag der Dramaturgie andere Veranstaltungen besucht oder einen anderen Eindruck von den geschilderten Veranstaltungen bekommen haben, sind herzlich eingeladen eigene kurze oder lange Artikel zu ihren Erlebnissen, Begegnungen und Erfahrungen bei der diesjährigen FilmStoffEntwicklung einzureichen! Einfach per Mail an schreiben@arno.ruhr. Ein Einblick in die Veranstaltungen, die ich nicht besuchen konnte (etwa die Case Study zu Wir Kinder im Bahnhof Zoo), würde mich freuen.

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