Erster Eindruck: Ad Astra

Manchmal trüben mir Vorurteile die Wahrnehmung: Nach Ad Astra war ich mir sicher einen Debutfilm gesehen zu haben, und zwar nicht bloß den Debutfilm eines Nachwuchsautorenfilmers, sondern den eines gestandenen Produzenten, der jetzt auch mal einen eigenen Stoff entwickelt und sich dann selbst als Regisseur eingesetzt hatte, um sein Baby möglichst unbeschädigt von (dummen wie klugen) äußeren Einflüssen auf die Welt zu bringen. »James Gray, PGA«, steht im Abspann, nicht »WGA«, nicht »DGA«, sondern »PGA«, das reichte mir als Anlass meines Irrtums.

Der Eindruck, hier einen Debutfilm zu sehen, war allerdings schon vorher entstanden. Debutfilme erkennt man oft daran, dass sie sehr viel wollen und nicht ganz so viel können. Und daran, dass sie die vorhandene Stärke ihrer Erzählung gar nicht identifiziert haben oder dieser Stärke nicht vertrauen, ihr nicht zutrauen den Film zu tragen. Vielleicht entsteht dann gerade aus dieser Unsicherheit auch das Bedürfnis, immer noch mehr zu wollen, statt mit dem zufrieden zu sein, was die Erzählung schon hat. Auf Ad Astra scheint mir das alles zuzutreffen.

Wir folgen Astronaut Roy McBride, der zum Neptun reist, um dort das Expeditionsschiff seines Vaters unschädlich zu machen, dessen beschädigter Antrieb das ganze Sonnensystem gefährdet. Roy hat, wie alle anderen auch, seinen Vater 20 Jahre lang für für tot gehalten. Dessen Mission war aber nicht gescheitert, stattdessen hatte er seine Mannschaft umgebracht, als die meuterte um nach Abschluss der Mission gegen seinen Willen wieder zur Erde zurückzukehren. Er war an den Rand unseres Sonnensystems gereist um fremdes, intelligentes Leben zu finden, und konnte das Ergebnis, dass es keines gibt, nicht akzeptieren. Roy macht sich auf den »rauen« Weg von der Erde zum Mond, vom Mond zum Mars, vom Mars zum Neptun. Er kämpft gegen Piraten, gegen wildgewordene Affen auf einem Forschungsschiff, und schließlich gegen seinen Arbeitgeber und die Mannschaft, die das Schiff seines Vaters sprengen soll.

Hier klingen die erzählerischen Probleme schon an: Weder der Angriff der Piraten noch der Notfall des Forschungsschiffes fügen sich in die Erzählung eines Sohnes ein, der sein Bild vom eigenen Vater gründlich korrigieren und sich endlich von dessen eingebildetem und realen Einfluss auf das eigene Leben befreien muss. Der Notfall des Forschungsschiffes könnte uns immerhin die Raumschiffcrew vorstellen, die Roy später bekämpfen und aus Versehen töten wird – wir Dramaturg*innen fressen Versehen sowieso –, tut das aber nicht. Auch andere Figuren, ein alter Freund des Vaters und die Tochter zweier Crewmitglieder und späteren Opfer des Vaters, kommen vor ohne für den Konflikt Roys die nötige Rolle zu spielen.

Dramaturg Phil Parker spricht von acht »Themes«, die den Konflikt einer Erzählung bestimmen können, beispielsweise »the desire for justice«, »the pursuit of love« oder »fear of the unknown«. filmschreiben-Autor Ron Kellermann schreibt in seinen dramaturgischen Texten von einem eigenen »emotionalen Thema«, das jeder Erzählung innewohnt. Bei Ad Astra ist dieses emotionale Thema die Emanzipation von den eigenen Idolen und Idealen – laut Parker wohl »the desire for validation« –, ein spätes Coming of Age. Die große Stärke des Films: dieses emotionale Thema spricht nicht nur aus der Geschichte Roys, sondern auch aus der seines Vaters. Leider spricht es jedoch kaum aus der Handlung, die sich lieber mit zufälligen äußeren Konflikten befasst (in Games gibt es dafür den Begriff des »random encounter«). Es bewahrheitet sich eine Tücke des Roadmovie: Autor*innen verwechseln (welt-) räumliche mit emotionaler Bewegung und Entwicklung.

Apropos Weltraum: Dass Ad Astra durch seine absurde Physik die »suspension of disbelief« seines Publikums leider überstrapaziert, also seine Bereitschaft eigentlich Unmögliches zum Zwecke der Erzählung für möglich zu erachten, steht noch einmal auf einem ganz anderen Blatt.

Ein Kommentar

  1. Michael Füting

    Gut beobachtet und formuliert. Finde besonders den Absatz, der Debutfilme charakterisiert, zutreffend und da den Satz „…nicht mehr zu wollen als…was die Erzählung schon hat“. Ein gutes dramaturgisches Prinzip!

    7. Oktober 2019

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