Too long; didn’t read: Texte aus Drehbuch-, Film- und Welttheorie, kurz, knapp, bündig zusammengefasst und auf ihren Wert fürs filmschreiben hin geprüft. Heute der Essay Engineering of Consent von Edward L. Bernays.
In 140 Zeichen (Was ist das?):
Edward L. Bernays: Medien üben Einfluss auf die Haltungen und Handlungen der Öffentlichkeit aus. Aus großer Kraft folgt große Verantwortung. — filmschreiben.de (@filmschreiben) 4 November 2014
In 50 Worten (Was ist das?): Unsere Meinungsfreiheit bedeutet die Freiheit einen Vorschlag zu machen und die Freiheit jemanden von diesem zu überzeugen. Meinungsbildung und damit das Überzeugen, also das Konstruieren von Zustimmung sind die Essenz von Demokratie. Haltungen und Handlungen der Öffentlichkeit lassen sich steuern, durch die Medien – mit guten, aber auch mit schlechten Absichten.
Die Erkenntnis: Wir tragen Verantwortung.
Es gibt einen Grund, warum ich bei meinem ständigen Einleitungstext neben Film- und Drehbuchtheorie etwas spracharm eine Welttheorie nenne: Die Überzeugung, dass wir als Autoren uns und unsere Arbeit aus Gedanken jeder Art bereichern können. „The Engineering of Consent“ (Wikipedia (en)) ist eigentlich PR-Theorie, Edward L. Bernays (Wikipedia) eigentlich Vater der PR – na und? Den guten Grund diesen Artikel in unsere tl:dr-Reihe aufzunehmen fand ich schon in Satz 4: „Any one of us through these media may influence the attitudes and actions of our fellow citizens.“
Und das betrifft nicht nur „soziale Anführer“, PR-Berater und Journalisten. Journalisten betrifft es in Anbetracht der Berichterstattung z.B. zum Ukraine-Koflikt und dem damit einhergehenden Vertrauensverlust derzeit besonders. Es betrifft auch uns als Autoren weitgehend fiktionaler Erzählungen. Fiktionale Geschichten können Menschen ebenso erreichen, berühren und verändern, wie es die Realität tut, mindestens. (Das weiß ich, weil mich Geschichten erreicht, berührt und verändert haben.) (Danke.)
Das Zitat:
The techniques can be subverted; demagogues can utilize the techniques for antidemocratic purposes with as much success as can those who employ them for socially desirable ends. The responsible leader, to accomplish social objectives, must therefore be constantly aware of the possibilities of subversion.
Die Mittel zur Überzeugung, die Systeme der Überzeugung, die Bernays untersucht können missbraucht werden. Und wurden missbraucht: Joseph Goebbels nutzte ein frühes Werk Bernays, eines Juden, für eine erfolgreichere Propaganda der Nationalsozialisten.
Von besonderem Interesse ist vielleicht, dass der Erfolg der Medien (durch Alphabetisierung und Radio) 1947 ähnlich rezipiert wurde wie heute das Internet.
Every resident is constantly exposed to the impact of our vast network of communications which reach every corner of the country, no matter how remote or isolated. Word hammer continually at the eyes and ears of America. The United States has become a small room in which a single whisper is magnified thousands of times.
Bernays bemerkt aber, das dadurch nicht, wie so oft behauptet, die Welt kleiner würde, sondern auch größer. Politiker und „soziale Anführer“ entfernen sich physikalisch von den Menschen, sie brauchen den Menschen nicht mehr persönlich begegnen, weil sie sie über die Medien erreichen können. Mag also die Welt durch das Internet noch kleiner geworden sein, kann man genau so sagen, dass sie noch größer geworden ist: Zu internationale Verträge und ihren Verhandlungspartner z.B. herrscht eine noch viel größere Distanz als zu hiesigen Entscheidungsprozessen und Politikern.
Gutes Schlusswort:
From the survey of opinion will emerge the major themes of strategy. These themes contain the ideas to be conveyed; they channel the lines of approach to the public; and they must be expressed through whatever media are used- The themes are ever present but intangible—comparable to what in fiction is called the “story line”.
Edward L. Bernays: The Engineering of Consent (bei der PR-Agentur Provokateur als PDF).
Viel Einfluss auf Bernays hatte Sigmund Freud (was wohl auch daran lag, dass Freud sein Onkel war). Da haben wir doch einen guten Kandidaten für die nächste Woche.