Die Nebenfiguren – nicht so wichtig?

Um die Bedeutung von Nebenfiguren klar zu machen, ist es gut, sie mit jenem Begriff zu versehen, den wir alle von den Oscar-Verleihungen her kennen: „supporting actors“. Für unseren Zweck nennen wir unsere Nebenfiguren kurz mal „supporting characters“. Also Figuren, die den Hauptfiguren helfen, sie unterstützen, aktiv oder passiv sein zu können und sie dazu bringen, Profil zu zeigen. Aber auch Figuren, in denen sich die Hauptfiguren spiegeln oder von denen sie sich total absetzen können.

Niemand ist eine Insel, ist der Titel eines Romans von Johannes Mario Simmel. Das ist eine schöne Metapher für die unleugbare Tatsache, dass wir alle soziale Wesen sind: vertikal und horizontal. Allein schon dadurch, dass wir uns Sprache teilen, dass wir auf den Schultern unserer Ahnen stehen und ihre kulturellen Errungenschaften nutzen und dass wir nicht leben und überleben würden, wenn um uns herum nicht andere Menschen wären. Mit der Bezeichnung „Nebenfiguren“ würden wir diesen Beziehungsmenschen im Leben wohl unrecht tun.

Was Nebenfiguren leisten können, kann man exemplarisch in Stephen Frears Film Immer Drama um Tamara sehen. Da gibt es zwei Teenager, die beobachten, kommentieren und später sogar entscheidend in die Haupthandlung eingreifen. So ist dieser Film übrigens auch zu einem Kultfilm von Teenagern geworden, obwohl es da hauptsächlich um die erotischen Verirrungen schon älterer Menschen geht. Typischerweise werden die Kids in den meisten Inhaltsangaben gar nicht erwähnt, was nur zeigt, wie stark unsere Filmrezeption von amerikanischen Dramaturgie-Standards beeinflusst ist.
Das Soziale von Hauptfiguren zeigt sich durch Nebenfiguren
In der starken Prägung des Filmbusiness durch amerikanische Produkte spiegelt sich aber nicht nur der übermächtige Individualismus der herrschenden Ideologie Amerikas. Diese Haltung des zur Zeit eben dadurch in eine Krise gekommenen Landes, hat sich, das darf nicht überraschen, auch in den Dramaturgien niedergeschlagen. Man nehme nur beispielhaft den zentralen Begriff des Helden. Mit Recht hat Doris Dörrie die brillanten Drehbuch-Gurus Cunningham & Schlesinger gefragt, was denn eigentlich mit „Heldinnen“ sei? Sie entwickelten daraufhin neue Gedanken zur Heldenreise, deren Ergebnis, verkürzt gesagt, ist, dass Heldinnen a) introvertierter und b) sozialer sind. Das Soziale von Hauptfiguren zeigt sich leicht durch Nebenfiguren. So kann man seinen Protagonisten mehr Konturen geben.

Nach diesen Bemerkungen eine Technik, die einem beim Entwickeln von Figurenkonstellationen helfen kann. Schon ein Bildertreatment besteht aus ca. 30 Seiten, die nacheinander gestapelt vor einem liegen. Ein Drehbuch hat ca. 100 genau so angeordnete Seiten. Und im Kopf des Autoren ist so seine ganze Geschichte zwangsläufig in einem ähnlichen Hintereinander abgelegt. Ist das gut so?

Wie können wir diese unpraktische Vorstellung eines Nacheinander verändern? Indem wir eine Art Schaubild herstellen. Auf einem großen Blatt, so groß, dass man es dann wahrscheinlich an die Wand hängen muss. Auf diesem großen Blatt sind unter der Bildnummer und einem prägnanten Inhalts-Titel der Szene die mitspielenden Figuren aufgeführt. Auch hier zwar im Hintereinander einer Längsachse, aber doch mit einem Blick überschau- und kontrollierbar.
Die Aktivität einer Nebenfigur hat Konsequenzen für unsere Hauptfigur
Unter unsere Zeichnung ziehen wir einen großen Strich und machen uns dann an eine Art Forschungsarbeit. Wir fragen uns: was machen Haupt- und Nebenfiguren in der Zeit der Szenen, in denen sie nicht vorkommen? Das notieren wir.

Das wird unsere Fantasie anregen, weil wir uns fragen mussten, was die Figuren wohl im OFF machen. Mit Sicherheit ergibt das gerade bei Nebenfiguren interessante Aspekte. Wir müssen uns weiter fragen, ob wir vielleicht nicht etwas ins ON bringen sollten und damit unsere Geschichte verbessern. Wahrscheinlich dürfte eine neue Aktivität einer Nebenfigur Konsequenzen für unsere Hauptfigur haben. Die ganze Geschichte quasi in einer Totalen vor seinem Blick zu haben und zu einzelnen Szenen hin zoomen zu können, das ist schon erhellend!

Einige unserer Storys hätten in der Planungsphase vielleicht eine Tendenz zum Ensemblefilm. Man sollte sich immer fragen, ob man das zulässt oder ob man seinen Plot dann auf weniger Figuren reduziert. Mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit werden einen Produzenten und Redakteure in diese Richtung drängen. Weil es gängig, kostengünstig und vielleicht eine Erleichterung ist. Es ist aber auch sehr konventionell. Die Frage für den Autoren sollte aber immer sein, ob das Gängige den idealen Plot für seine Story bringt.

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