Theorie tl;dr: Über Post-Kunst

Too long; didn’t read: Texte aus Drehbuch-, Film- und Welttheorie, kurz, knapp, bündig zusammengefasst und auf ihren Wert fürs filmschreiben hin geprüft. Heute „Canon Fodder: As the sun finally sets on the century of cinema, by what criteria do we determine its masterworks?“, wieder von Drehbuchautor, Regisseur und Filmkritiker Paul Schrader.

In 140 Zeichen (Was ist das?):

#PaulSchrader: Wir haben aufgehört #Filme als Ganzes zu bewerten und beschränken uns stattdessen auf einzelne Aspekte – und Zahlen. #Schade. — filmschreiben (@filmschreiben) 24. April 2016

In 50 Worten (Was ist das?): Es braucht einen Kanon, um sich in der Masse an Filmen zurechtzufinden. Doch wir haben aufgehört, Filme (und Kunst) zu bewerten, untersuchen sie bloß noch nach bestimmten (politischen) Kriterien oder reduzieren sie auf ihren Erfolg. Die einzige Erwartung, die wir an einen Film haben ist die, ob er uns unterhält.

Die Erkenntnis: Dass Post-Moderne eigentlich Post-Kunst heißen sollte, weil wir verlernt haben künstlerische Erwartungen an einen Film zu haben. Der einzelne Film: Eine Ansammlung von Popkultur, ohne Bedeutung über den Moment hinaus. Noch schlimmer: Versuch gar nicht erst, so zu tun, als könne es Bedeutung über den Moment hinaus geben, schreibt Schrader. Denn das impliziere Kunst, und seit Pauline Kaels Essay Trash, Art and the Movies von 1969 brauche der Film keine Kunst mehr (zu sein), er begnüge sich mit Trash.

Eine Perspektive von Kritikern, Zuschauern und dann auch Filmemachern die den Film, so Schrader, geschwächt hat. Denn wenn Trash das Stigma fehlt, aus welchem Grund sollte ein Filmemacher (und Filmfinanzier) nach Höherem streben? Und warum dann noch das Ergebnis bewerten? Schon Duchamps Ready-mades entzogen sich der künstlerischen Bewertung, und Warhol nannte sich einen „Art Businessman“. Wenn es doch Zahlen – Geld und Ruhm – gibt als objektiven Maßstab um den Wert von Kunst zu messen, warum dann noch so aufwändig und so angreifbar nach Kriterien künstlerischer Bewertung suchen?

Weil Film Kunst ist. Weil es unmöglich geworden ist, sich in der stetig wachsenden Fülle seiner Kunstwerke zurechtzufinden, und unsere Kriterien zur Orientierung schlecht sind und nicht hilfreich: Nicht dem Zuschauer, besonders nicht dem Filmemacher. Und weil Film eine Übergangskunst ist, die im einundzwanzigsten Jahrhundert in neue Medien aufgehen und vermutlich verschwinden wird: Umso wichtiger ist es doch, jetzt das Erinnern zu organisieren, zum einen, und zum anderen die Übergabe, damit das, was wir durch Film gelernt haben bestehen bleiben und genutzt werden kann. Das steht so nicht bei Schrader, nicht direkt, aber es ist das, was ich dort lese.

Das Zitat:

Aesthetics, like the canon, is a narrative. It has beginning, middle, and end. To understand the canon is to understand its narrative. Art is narrative. Life is narrative. The universe is a narrative. To understand the universe is to understand its history. Each and every thing is part of a story—beginning, middle, and end.

Von besonderem Interesse ist vielleicht Schraders etwas visionärer Satz „The fact remained that a machine or a monkey was as capable of creating a photographic image as a human” in Bezug auf Walter Benjamin und dem Problem der Bewertung von Kunst. Ich verweise ja immer gern auf Banksys Exit Through The Gift Shop, doch eigentlich erinnert es mich an den Fall der Monkey Selfies. Photos, bei denen ein Affe den Auslöser drückte, für die aber der Besitzer des Fotoapparats die Rechte (bisher vergeblich) beansprucht.

Das letzte Wort:

I have, perhaps, 10 years of film left in me, and I’m perfectly content to ride the broken-down horse called movies into the cinematic sunset. But if I were starting out (at the beginning of my narrative, so to speak), I doubt I’d turn to film as defined by the 20th century for personal expression.

Paul Schrader: Canon Fodder. As the sun finally sets on the century of cinema, by what criteria do we determine its masterworks? Zu lesen als PDF auf den Seiten des Autors, inklusive drei Top-20-Listen aus Schraders eigenem Kanon.

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