Too long; didn’t read: Texte aus Drehbuch-, Film- und Welttheorie, kurz, knapp, bündig zusammengefasst und auf ihren Wert fürs filmschreiben hin geprüft. Heute der Essay „Hitchcock and the Classical Paradigm“ von John Belton.
In 140 Zeichen (Was ist das?):
#John #Belton: #Hitchcock sprach selten über #Filmtheorie. Er erklärte seine Praxis nicht durch Theorie, sondern Theorie durch seine Praxis. — Arno (@filmschreiben) 3. Mai 2015
In 50 Worten (Was ist das?): Anders als zum Beispiel Sergei Eisenstein und Dziga Vertov hat Alfred Hitchcock nie selbst über Filmtheorie geschrieben und selten darüber gesprochen. Dabei waren seine Filme wie Methoden einer filmtheoretischen und erzählerischen Forschung, wie Experimente zur Gewinnung von filmtheoretischer, manchmal medienwissenschaftlicher (in der Untersuchung vom Verhältnis des Zuschauers zum Medium) Information.
Die Erkenntnis: Zuschauer lassen sich gern auf Fremdes ein, wenn ihnen das Fremde bekannt ist. Paradox? Hitchcock lud seine Zuschauer zu seinen Experimenten ein, und weil er Hitchcock war, und die Zuschauer ihn und seine Experimente kannten, kamen sie. Laut Belton (Wikipedia (en)) erreichte Hitchcock das, indem er seine Person als Erzähler in den Vordergrund rückte. Ich stelle mir das ein bisschen wie bei den Edgar Wallace-Filmen vor: „Hallo, hier spricht Edgar Wallace“, danach waren die deutschen Zuschauer zu jedem Blödsinn bereit.
Wir kennen die Diskussion des Fremden und Bekannten als eine mögliche Unterscheidung von Kino und Fernsehen: Bleibt der Zuschauer zu Hause, möchte er auch inhaltlich und emotional zu Hause bleiben, bei dem, was er kennt. Verlässt er das Haus um ins Kino zu gehen, ist er eher bereit, sich auf fremde Erfahrungen einzulassen. Dass sich diese Unterscheidung durch DVD, Blu-ray und Video-on-Demand möglicherweise auflöst, hat vielleicht etwas damit zu tun, dass sich Kinofilme immer mehr auf das bereits bekannte verlassen, eben keine Experimente versuchen. (Wobei: Wo kommen dann die Serien-Experimente im Fernsehen her? Gibt es eine allgemeine Annäherung zur Mitte hin?)
Das Zitat: Der Leitspruch für unsere Theorie tl;dr-Reihe –
The point is not so much the director’s fascination with technology and technique but his larger project of creating a film practice that was truly “cinematic”; i.e., that was grounded in an understanding of the nature of the medium, an understanding of how images and sounds worked.
Von besonderem Interesse ist vielleicht die Warnung Beltons vor Filmtheorie zu Hitchcock. Ähnlich wie bei Aristoteles wird Hitchcock wohl gern ganz beliebig verwendet, ein Verweis auf Hitchcock ist immer gut. Zu oft hätten Filmwissenschaftler Hitchcock und seine Filme nur in Hinblick auf ihre eigene Aussage untersucht, seine Werke manchmal als Beispiel für Filme seiner Zeit herangezogen, dabei war Hitchcock doch eher ein Gegenstück zu den Filmen seiner Zeit. Can Hitchcock be Saved from Hitchcock Studies? heißt ein weiterer Artikel von Belton.
Das letzte Wort: Klingt nach Lesetipp –
What makes Hitchcock unique as a visible narrative presence is his penchant for acknowledging the hide-and-seek game he is playing as narrator with his audience. Thomas M. Leitch has devoted an entire book to this aspect of Hitchcock as narrator—Find the Director and Other Hitchcock Games (Athens: University of Georgia Press. 1991).
John Belton: Hitchcock and the Classical Paradigm. In: After Hitchcock. Influence, Imitation, and Intertextuality, herausgegeben von David Boyd und R. Barton Palmer. Gibts für etwas Geld bei der University of Texas, für umsonst bei Google Books. Verzeiht, wenn ich darauf nicht verlinke und ihr es euch selber suchen müsst.