Warum Dschungelcamp? – Fazit eines Selbstversuchs

Ob Ich bin ein Star – holt mich hier raus nun die perfekte subtil-subversive Unterhaltungsshow ist oder doch obszön-sadistisches Ekelfernsehen, das Fernsehdeutschland den verdienten Spiegel vor die hässliche Fratze hält, mögen Andere entscheiden. Aus psychologischer Sicht ist das Werturteil nicht wichtig, interessant ist vielmehr die Frage, wie ein Verhalten – in diesem Fall Einschaltquoten von fünfzig Prozent und mehr – zu verstehen und zu erklären ist. Bei so vielen Zuschauern, müssen die Beweggründe vielseitig und interindividuell unterschiedlich sein. Die wichtigsten seien im Folgenden dargestellt.

Welches Rezeptionsbedürfnis befriedigt das Publikum mit dem Dschungelcamp?

Zunächst scheint die Theorie des sozialen Vergleichs Aufschluss zu geben. Dieser Klassiker der Sozialpsychologie postuliert, dass wir permanent und häufig unbewusst soziale Vergleiche anstellen, um Informationen über uns selbst zu gewinnen und unser Selbstwertgefühl zu regulieren. Drei grundlegende Vergleichsprozesse werden dabei unterschieden:

1. Wir vergleichen uns mit verschiedenen Anderen in verschiedenen Kategorien um Informationen für unsere Selbsteinschätzung zu gewinnen.

2. Wenn das eigene Selbstwertgefühl situativ gering ist, wählen wir zum Vergleich bevorzugt Andere, die weniger können, die einen niedrigeren Status haben, oder denen es schlechter geht, um unser eigenes Selbstwertgefühl relativ zu erhöhen

3. Wenn wir uns entwickeln, ein bestimmtes Ziel erreichen wollen, stellen wir bevorzugt Vergleiche mit Anderen an, die in dem betreffenden Bereich besser sind, um Informationen über Entwicklungspotenziale und -strategien zu gewinnen.

Die Macher des Dschungelcamps wissen diese Effekte zu nutzen: Mann/Frau, jung/alt, sportlich/unsportlich, erfolgreich/gescheitert, mehr oder weniger intelligent, gesellig, egoistisch, egozentrisch, ehrgeizig, hilfsbereit… Insbesondere das Kandidatenfeld der diesjährigen Staffel bietet die Möglichkeit zu jedweder Art sozialen Vergleichs. Dabei wird durch die Moderation immer wieder dafür gesorgt, dass vor allem der Abwärtsvergleich nicht zu kurz kommt, unser Selbstwertgefühl also kontinuierlich Zufuhr bekommt.

Soziales Lernen durch vergleichen

Wer aber pauschal unterstellt, es ginge dem Gros der Zuschauer ausschließlich darum, sich an der Bloßstellung der Kandidaten selbst zu erhöhen, übersieht möglicherweise die anderen, ebenfalls stattfindenden Vergleichsprozesse: Würde ich das essen? Könnte ich meine Angst/meinen Ekel überwinden? Wie würde ich dabei vorgehen, was bräuchte ich dazu? Wieviel lästern ist ok? Wieviel normal? Könnte ich so aussehen? In welcher Gruppe wäre ich? In welcher Position?

Auch die ständige, möglicherweise inszenierte, aber doch oft genug zumindest spontan wirkende, Selbstoffenbarung der Kandidaten, lädt zum Vergleichen ein: Habe ich ähnliche Brüche in der Biographie? Wie konnte oder kann ich damit umgehen? Würde ich denselben Weg wählen oder hätte ich bessere Strategien zur Verfügung? Kann ich Authentizität von Inszenierung unterscheiden?

Neben dem individuellen Verhalten der Kandidaten, bieten auch die Gruppenprozesse im Dschungelcamp viel Stoff für soziales Lernen und Vergleichen. Das Konzept der Show forciert gruppendynamische Prozesse, die uns aus unserem Leben vertraut, aber aus sicherer Distanz selten so konkret beobachtbar sind.

Da sind zunächst Nähe-Distanz-Konflikte. Der Philosoph Arthur Schopenhauer verglich das menschliche Beziehungsverhalten mit einer Gruppe Stachelschweine im Winter: Alleine stehend friert jedes Tier und sucht folglich die Nähe der Anderen. Rücken die Schweine jedoch zu nahe zusammen, verletzten sie sich an den Stacheln der anderen, woraufhin sie wieder weiter auseinanderrücken… Ebenso wie Schopenhauers Stachelschweine befinden auch wir uns in ständiger Nähe-Distanz-Regulation und müssen uns zwischen Einsamkeit und Bedrängnis immer wieder neu sozial positionieren.

Gruppendynamische Prozesse verstehen

Im Dschungelcamp wird den Kandidaten die Möglichkeit zur Distanzierung genommen, die Stacheln der Anderen sind in der Enge des Camps jederzeit spürbar und führen zu Auseinandersetzungen, die wir selbst aus der Familie, vom Arbeitsplatz und aus anderen sozialen Kontexten kennen. Nahrungs- und Schlafentzug sowie der Leistungsdruck der Prüfungen und Aufgaben sorgen zusätzlich für Anspannung, was die soziale Dynamik ankurbelt. Es entstehen die uns aus eigener Erfahrung bekannten Rollen innerhalb der Gruppe: Alphatiere, Mitläufer, Lästerer, Vermittler, Beobachter, Spezialisten und Außenseiter. Alles wie in echt, nur im Zusammenschnitt etwas schriller und schräger.

Sadistische Freude

Eine große Rolle in der Rezeption des Dschungelcamps spielt darüber hinaus immer wieder das vermeintlich sadistische Element: Der Zuschauer erfreut sich daran, dass die Kandidaten in unangenehme Situationen gebracht werden, mit Ekel und Angst zu kämpfen haben. Er kann sogar per Telefonanruf mitentscheiden, wen es treffen soll. Es zeigt sich ein grundlegendes menschliches Motiv: Wer nervt, bekommt eine Abreibung. Wer sich arrogant aufbläst, soll Demut lernen. Wer asozial handelt, muss am eigenen Leib spüren, wie es ist, ganz unten zu sein…

Ersatzbefriedigung durch Bestrafung von falschem Verhalten

Das Verhalten der Kandidaten, insbesondere das dysfunktionale, erinnert uns an Personen aus unserer Realität, denen wir gerne eine Lektion erteilen würden, um das negative Gefühl, welches ihr Verhalten bei uns auslöst, an sie zurückzugeben. Natürlich können und wollen wir uns im echten Leben meist nicht als Schafrichter gebärden, wir haben nicht die Macht, vielleicht auch nicht den Mut, außerdem wissen wir irgendwo doch um die Subjektivität unseres Urteils. Umso wohler ist uns, wenn in fiktiven Welten (Filme, Serien, Spiele) mal konsequent und ohne Konsequenzen für uns selbst Gerechtigkeit geübt wird.

Das Dschungelcamp bietet diese Möglichkeit der sogenannten Ersatzbefriedigung und geht dabei noch einen Schritt weiter als fiktionale Formate. Alles scheint ein Stück echter, einen Schritt näher an unserer eigenen Realität. Dennoch bleibt der rechtliche und moralische Rahmen für den Zuschauer weitgehend sicher: Die Kandidaten nehmen an der Show und den Prüfungen freiwillig teil, können jederzeit aussteigen und werden körperlich nicht ernsthaft verletzt. Natürlich ist das alles heikel. Wir bewegen uns näher an der Grenze unserer eigenen moralischen Ansprüche, als es die meisten von uns gewohnt sind. Aber genau diese Gratwanderung ist eben auch aufregend.

Das mag nicht edel, hilfreich und gut sein – menschlich, allzumenschlich ist es allemal.

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