Erster Eindruck: Dunkirk

Aktuelle Kinofilme dramaturgisch zu untersuchen ist schwierig, weil wir sie dafür eigentlich mehrfach sehen müssten. Dafür fehlen die Ressourcen und manchmal die Geduld. Deshalb ein kurzer erster dramaturgischer Eindruck, der weder umfassende Vollständigkeit, noch analytische Detailtiefe verspricht – dafür spontane Ehrlichkeit und die Konzentration aufs Wesentliche. Heute: Dunkirk, Buch und Regie: Christopher Nolan.

Am Strand der französischen Stadt Dünkirchen warten hunderttausende britische und französische Soldaten auf die Evakuierung über den Ärmelkanal – eingeschlossen von der vorrückenden deutschen Wehrmacht. Dunkirk erzählt die Geschichten des jungen Schützen Tommy, der zu entkommen versucht; des Zivilisten Mr. Dawson, der versucht, mit seinem kleinen, privaten Boot Soldaten zu retten; und des RAF-Piloten Farrier, der Soldaten und Schiffe vor den Deutschen zu schützen versucht.

Drei Geschichten, die Nolan über Texteinblendungen 1. Die Mole, 2. Die See, 3. Die Luft benennt. Das Epische ist dabei die große erzählerische Stärke und gleichzeitig die dramaturgische Schwierigkeit des Films. Die jeweiligen Geschichten werden nämlich nicht chronologisch erzählt, sondern jeweils chronologisch aber zueinander versetzt – was insbesondere bei 1. eine große Rolle spielt, die einen Zeitraum von einer Woche überspannen soll.

Das bedarf beim Betrachter zunächst der Gewöhnung, aber bereits früh im Film wird zwischen dem selben Tag und der selben Nacht hin und her geschnitten, ab hier kann das Prinzip verstanden sein, das besonders dann an Kraft gewinnt, wenn eine Geschichte Vorzeichen für eine andere beinhaltet (Den holländischen Kutter haben wir Kentern sehen, bevor Tommy am Strand mit ihm in See sticht.).

Man muss allein aus filmsprachlicher Sicht Nolan für diese neue epische Grammatik sehr dankbar sein, auch wenn sie Schwierigkeiten mit sich bringt. Dass sich die Woche am Strand nämlich nicht als Woche, sondern analog zu den beiden anderen Geschichten als bloßer Tag anfühlt (vielleicht allein aufgrund unserer Sehgewohnheiten) nimmt viel emotionale Kraft aus der Situation in Dünkirchen.

Andere Schwierigkeiten sind dem Epischen geschuldet: Tommys Geschichte, der alles versucht um vom Strand zu fliehen, so weit kommt, viel weiter als so viele andere, um dann doch wieder am Strand zu enden ist hoch dramatisch – und doch bleibt sie uns fern. Was unter anderem am Plural der Protagonisten liegt, und an unserem oben beschriebenen unterschiedlichen Wissensstand. Empathie, gar Identifikation fällt so schwer.

Sie wird tatsächlich vom Film auch gar nicht versucht. Vielmehr scheint der Verzicht auf Drama fast Befreiung zu sein. Das schlafwandelnde Gefühl von Irritation und völliger Befremdung, dass sich beim Betrachten der bizarren Situation am Strand einstellt und dem Belauschen der ähnlich surrealen Dialoge (40.000 sollen gerettet werden; es sind 400.000 Briten am Strand), diese Distanz wäre im Drama ja gar nicht möglich.

Dazu passt der Verzicht auf Dialog und Blut: Es geht nicht darum, die Angst der Soldaten zu spüren. Und auch ihre Erleichterung beim Eintreffen der Boote bleibt zwar logisch nachvollziehbar aber emotional fremd und eigentümlich, weil wir nach all dem erlebten Horror auf See ihnen die Flucht dorthin gar nicht mehr wünschen können. Dass es viele schließlich schaffen scheint bloßes Glück zu sein, es hätte alles passieren können.

Ist Drama dazu da, Verständnis zu vermitteln, ist es der Epos vielleicht, zumindest der vorliegende nolansche, um Unverständnis auszuhalten. Es bleibt die ständige Befremdlichkeit einer Welt, die wir nicht als die unsere erkennen können, bei der wir aber zweifelsfrei wissen, dass sie es ist. Distanz statt Nähe, Irritation statt Auflösung.

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