Ich David, du Goliath: Vom Versuch einen großen Stoff zu bändigen

Seit ich denken kann, gibt es diese eine Geschichte in meinem Kopf. Vermutlich war der Wille, sie zu erzählen, mein einziger Bonus, als ich mich diesem ersten Romanprojekt ernsthaft zuwandte. Unbedarft trat ich an zum Start für den Ironman der Erzählkunst. Mein dramaturgisches Werkzeug ließe sich ohne Weiteres mit Davids Steinschleuder in der biblischen Geschichte vergleichen. Es kam zum Zweikampf. Ein Erfahrungsbericht von Katharina Lemant.

Über Katharina Lemant: Ursprünge als Autorin von Krisendokumenten, Lyrik und Kurzgeschichten aus Liebe zum leeren Blatt. Danach Sprachwissenschaftlerin, Übersetzerin und seit vielen Jahren als Werbetexterin und Redakteurin für Unternehmen und Agenturen in unterschiedlichen Branchen tätig. Verfechterin und Anwenderin von Storytelling in Marketing, Public Relations, Kampagnen und Blogs. Seit 2015 Fortbildungen in Drehbuch-Dramaturgie sowie Arbeit am eigenen Stoff.

Goliath soll in die 3-Akt-Struktur

Das „Was“ war klar, nur von dem „Wie“ hatte ich – wie sich schnell herausstellte – wenig Ahnung. Klar war auch, zuerst schreibe ich einen Roman nach der 3-Akt-Struktur, von der ich nach einer Autorenwerkstatt mit Filmdramaturg, Drehbuchdozent und filmschreiben-Autor Ron Kellermann begeistert war. Warum sollte ein Roman davon nicht genauso profitieren wie ein Drehbuch? Die sprachlich rigide Form des Drehbuchs schreckte mich darüber hinaus auch ab. Ich wollte mit Worten spielen, sie auf ihren Klang, ihren Rhythmus prüfen, sie drehen, wenden, in die Luft werfen, bis sie schimmernd wieder herunter fielen in Sätze, die schon bereit für sie lagen. Doch dazu kam es lange nicht, denn der Kampf mit der 3-Akt-Struktur erwies sich als schwer. Wochenlang versuchte ich, meinen Goliath – einen wahren Stoffriesen, der über zwei Jahrzehnte hinweg und mit einigen Rückblenden erzählt werden sollte – in drei Akte zu pressen. Nachts hörte ich sein dröhnendes Lachen.

Im „Wie“ – und nicht allein im „Was“ – liegt die wahre Erzählkunst.Doch ich wollte es. Unbedingt. Meine Faszination für Dramaturgie und gute Geschichten, wie So glücklich war ich noch nie von Alexander Adolph, About a Boy von Nick Hornby oder Frühstück bei Tiffany von Truman Capote, halfen mir weiterzumachen. In der Autorenwerkstatt hatte ich viel gelernt über Single- und Multiprotagonisten, Hoch-, Tief- und Wendepunkte, Findung der dramatischen Frage, Entwicklung einer Prämisse, Dreidimensionalität einer Geschichte, den Schmelztiegel der Figuren, inhaltliches und emotionales Thema. Syd Fields Klassiker Das Drehbuch und Grundkurs Film lockten mich schließlich endgültig hinaus aufs offene Meer. „Drehbuch ist Struktur“ ist eine von vielen Field-Thesen, die sich während meiner konzeptionellen Arbeit bestätigten. Rückblickend betrachtet war es gut investierte Zeit. Auch im Film sind Helden nur deshalb interessant, weil sie kämpfen.

Helden sind nur deshalb interessant, weil sie kämpfen.

Die Storyline: Plotten können wollen

Besonders verwirrend waren für mich die in der Literatur teilweise unterschiedlich definierten Begriffe Plotpoint, Wendepunkt, Hoch-, Tief- und zentraler Punkt. Sogar die Formel: „Drei Katastrophen und ein Ende“ fand ich in der freien Recherche. Nach ungezählten(!) Versuchen ohne Treffer brachte die Karteikartenmethode von Syd Field mit je 14 Karten pro Akt den Durchbruch. Eines schönen Nachmittages kroch ich mit vier statt der gewünschten drei Akte aus dem Storyline-Dickicht ins Sonnenlicht. Nie werde ich den Moment vergessen, als ich begriff, dass vier Akte gar nicht schlecht sind, auch wenn ich stets drei angestrebt hatte. Aus 2. und 3. Akt wurden im Handumdrehen Akt 2a und 2b! Hatte ich Goliath damit gezähmt? Lange sollte die Hochstimmung nicht anhalten.

Aus 4 wird 3, wenn 2 und 3 zu 2a) und 2b) werden – eigentlich logisch!Immerhin fiel mir das Schreiben des Exposés anschließend deutlich leichter, weil ich mich an der erarbeiteten Struktur orientieren konnte. Das Exposé ließ ich vom Dramaturgen und filmschreiben-Autor Arno Stallmann in Form eines Lektorats begutachten. Er empfahl mir das in meinen Augen sehr griffige Konzept der acht Sequenzen (David Howard/Edward Mabley), mit dem ich die Storyline nochmals überprüfen und geraderücken konnte. Es gliedert sich in: Routine/Status Quo, Collision Course, Rising Action/First Try, Try harder, Romance Sequence/Inspiration, Escalation, False Resolution, True Resolution. Wie sich herausstellte, war die Charakterentwicklung meiner Figuren durch die ganze Strukturarbeit ziemlich auf der Strecke geblieben. Also: Ändern und nachbessern! Aber das gehört nun mal zum Geschäft aller Schreibenden. Von da an hatte ich auch eine Vorstellung, wie und wo ich Rückblenden einbauen konnte, ohne die Geschichte auszubremsen.

Wann ist eine Figur interessant?

Was formt unseren Charakter? Warum sind wir wer wir sind? Als Fan von Fritz Riemanns Klassiker Grundformen der Angst kannte ich mich ein wenig aus mit Psychologie und den uns Menschen zugrunde liegenden Persönlichkeitsstrukturen. Geholfen bei der Figurengestaltung hat mir auch die Einteilung in ihre psychologische, soziologische und physiologische Dimension (Lajos Egri: The Art of Dramatic Writing). Doch es geht ja viel weiter. Allein das Äußere einer Figur in Sprache zu setzen, zu beschreiben, wie sie agiert, spricht, sich bewegt, ohne dabei in Plattitüden abzurutschen, erforderte völlig neue Fähigkeiten. Inspiriert haben mich dabei auch die Betrachtungen von Iris Leister, etwa die Frage: „Was tun die Figuren, wenn sie allein und unbeobachtet sind?“ Es ist das Intime, die scheinbare Abweichung von der Norm, die Figuren Tiefe verleiht. Es geht darum, ihre verborgenen Winkel, ihre Ängste und Sehnsüchte freizulegen und in ihrem Anderssein wiederum Verbindendes herauszuarbeiten. Als Leser und Zuschauer will ich mich bitteschön identifizieren. Das erfordert mutige Figuren. Mut sich preiszugeben, Grenzen zu überschreiten, Mut sich zu blamieren. Dasselbe gilt für den Autor.

Gute Figuren haben den Mut sich zu blamieren.

Der Dialog: Kunst auf Mikroebene

Gute Dialoge fallen NICHT vom Himmel. Schade. Die Funktionen des Dialogs innerhalb einer Geschichte sind vielfältig. Darüber hinaus versuchte ich, Dialoge zu kreieren, die witzig, tiefgründig und originell sind. Keine leichte Sache! „Der Dialog ist Ausdruck eines Kampfes“, schreibt Dramaturg Oliver Schütte in seinem Buch Schau mir in die Augen, Kleines über die Kunst der Dialoggestaltung. Auch ein Flirt kann übrigens ein Kampf sein – so erfuhr ich – bei dem es darauf ankommt, immer neue Argumente ins Feld zu führen. Überprüft man das in der Praxis, wird klar, was gemeint ist. Als Beispiel Billy Wilders’ legendäre Schlussszene in Manche mögen’s heiss, wenn Jack Lemmon (im Film „Gerald oder Jerry“) als Frau namens Daphne verkleidet an der Seite des Millionärs Osgood Fielding III im Schnellboot ins vermeintliche Happy End fährt.

Jerry

Osgood, ich will ehrlich zu dir sein: Wir beide können gar nicht heiraten!

Osgood

Warum nicht?

Jerry

Also erst mal bin ich nicht naturblond.

Osgood

Das macht nichts

Jerry

Zweitens rauche ich. Ich qualme den ganzen Tag.

Osgood

Ist mir gleich.

Jerry

Ich habe eine dunkle Vergangenheit, ich bin seit drei Jahren mit einem Saxophonspieler zusammen.

Osgood

Ich vergebe dir.

Jerry

Ich kann niemals Kinder kriegen.

Osgood

Wir adoptieren welche.

Jerry

Verstehst Du denn nicht, Osgood? Ich bin ein Mann!

Osgood

Na und? Niemand ist vollkommen.

Dramaturgie: Unterwegs in einem fremden Land

Goliath und ich, wir sind beide noch am Leben. Irgendwann haben wir beschlossen zu kooperieren. Manchmal kommt mir der Riese plötzlich entgegen und lässt sich wieder ein kleines bisschen formen. Er ist voller Szenen, Sequenzen, Dialogen, Denkaufgaben, Baustellen, losen Enden und dunklen Ecken, in denen noch gefegt und Licht gemacht werden muss. Das liebe ich an ihm.

Es bleibt noch viel zu tun. Auf die Frage „Bist Du immer noch nicht fertig?“ zitiere ich manchmal Dan Millmann aus dem Film Peaceful Warrior: „Der Weg ist es, der uns glücklich macht, nicht das Ziel.“ Meine Steinschleuder halte ich in Ehren. Ein Vorteil dieser Schleudergeschosse ist, dass sie lautlos und im Flug nicht leicht zu erkennen sind. Etwas abgewandt von der übrigen Welt arbeite ich also weiter und warte darauf, dass der Stein eines Tages auf die Erde fällt und sie an dieser Stelle in eine nie dagewesene Landschaft verwandelt.

3 Comments

  1. Michael Füting

    Irgendwie hat mich das sehr berührt. Ich möchte gar nicht nachzählen, wie viele Bücher Sie über Schreiben gelesen haben. Vielleicht zu viele?
    Wenn man sich an diese Bücher hält, besteht dann nicht die Gefahr, sich zu versklaven?
    Und wie soll eigentlich etwas Neues entstehen, etwas Originelles, wenn man Schemata folgt.
    Bestimmt nicht die Geschichte, die man erzählen will, die passende Form? Zumal wenn es
    Prosa ist und nicht Drama. Da kann man doch riskieren, drauf los zu erzählen. Erstmal. Und es dann redigieren. Oder?

    19. April 2019
  2. Katharina Lemant

    Im Grunde nur drei, aber die mehrfach!
    Ich habe es tatsächlich umgekehrt empfunden: Die „Strukturhilfe“ öffnet mir das Tor zu einem Kontinent, auf dem ganz neue Freiheiten möglich sind. Die Geschichte ist übrigens noch die gleiche wie vorher. Nur die Auswahl der Szenen und die Reihenfolge, in der ich diese erzähle, haben sich geändert. Dafür war die 3-Akt-Struktur wirklich wertvoll.
    Einziger Nachteil: Viele Romane kaufe ich jetzt nicht mehr, weil mir genau der Spannungsbogen fehlt, den gute Filme bieten.
    Herzliche Grüße
    KL

    23. April 2019
  3. Das ist das allgemeine Dilemma dramaturgischer Beratung: Sie gibt die notwendige Unterstützung um das Projekt zu beginnen und schreibend loszulaufen (für die nötige Motivation braucht es nicht nur das Interesse, sondern eben auch die Erwartung mit der folgenden Anstrengung das Interesse zu bedienen), an irgendeinem Punkt wird dieser Plan aber scheitern und dann braucht es den Künstler von dort aus trotzdem weiterzumachen.

    24. April 2019

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