Too long; didn’t read: Texte aus Drehbuch-, Film- und Welttheorie, kurz, knapp, bündig zusammengefasst und auf ihren Wert fürs filmschreiben hin geprüft. Heute das Kapitel „Tension and its Suspension“ aus Play-Making. A Manual of Craftsmanship von William Archer.
In 140 Zeichen (Was ist das?):
William #Archer: #Spannung bedeutet ein „Ausweiten“, „Ausspannen“ im #Bewusstsein des Zuschauers nach vorn, bedeutet Befürchtung, Erwartung. — filmschreiben (@filmschreiben) 24. September 2015
In 50 Worten (Was ist das?): Eine Erzählung wird von ihrer Spannung bestimmt: Die Spannung setzt spätestens nach der Exposition nur der notwendigen Informationen ein, wird verdichtet/erhöht und sollte ohne Ent-Spannung anhalten bis kurz vor ihrem Ende. Ablenkungen funktionieren, wenn die eigentliche Spannung im Hintergrund bleibt, wenn sie verzögert, aufgeschoben (suspension), und dadurch vergrößert wird.
Die Erkenntnis: William Archer vergleicht die Konstruktion eines Dramas mit dem eines Gebäudes in der Architektur. Ein Vergleich, den wir zu genüge kennen, der 1912 aber möglicherweise neu war. Der ihm wichtige Punkt bei diesem Vergleich: Hinter einem Drama steht wie bei einem Gebäude ein Plan des Autors. Das bedeutet, dass auch wenn das Stück nicht mit unseren konventionellen Vorstellungen eines Dramas übereinstimmt, es funktionieren kann – wenn es einem Plan folgt.
Die Statik in der Architektur führt ihn dann zur Spannung im Drama. Dabei sind Beispiele interessant, bei denen der Autor das Stück noch weitergeführt habe, nachdem die eigentliche Spannung längst aufgelöst wurde, wie in Shakespeares letztem Akt von Der Kaufmann von Venedig. Worum es ihm aber eigentlich geht, sind Momente, in denen die Spannung eines Stücks in den Hintergrund tritt, Momente, die für Ablenkung sorgen, es aber dennoch schaffen, so der Spannung zu dienen. Indem sie Antworten auf unsere Fragen, unsere Erwartung verzögern.
Diese Spannung ist die dramatische Frage, unsere Erwartungen die sich aus Erregendem Moment und erstem Wendepunkt ergeben. Beim Lesen ist mir aufgefallen, dass vielleicht ein wichtiger Aspekt solcher Ablenkungen fehlt, den wir heute kennen: Die Bestrafung. Spannung verdichtet sich im Lauf des Films und auch in Momenten, in denen sie (also die dramatische Frage) nicht im Vordergrund steht. Denn sie ist im Hintergrund präsent (hoffentlich) und dort verdichtet sie sich weiter. Und wenn die Figuren sich nicht mit ihr befassen, wenn sie sich Ablenkung erlauben, werden sie dafür bestraft: In der Zwischenzeit ist die Spannung gestiegen, hat sich ihre Situation verschlechtert.
Das Zitat:
Sir Arthur Pinero’s play, The Profligate, was written at a time when it was the fashion to give each act a sub-title; and one of its acts is called “The Sword of Damocles.” That is, indeed, the inevitable symbol of dramatic tension: we see a sword of Damocles […] impending over someone’s head; and when once we are confident that it will fall at the fated moment, we do not mind having our attention momentarily diverted to other matters.
Von besonderem Interesse ist vielleicht, das (schon?) Archer auf das episodische Erzählen hinweist, bei dem anders als im Drama meist kein größerer Plan die Zusammenhänge und Notwendigkeiten der einzelnen Teile bestimme. Beispiele für solch episodisches Erzählen sind für ihn Mantel-und-Degen-Stücke, die wohl Mode waren zu seiner Zeit, und Sherlock Holmes. Als besonders ambitionierte Autoren des episodischen Erzählens hebt er George Bernard Shaw hervor, und den für uns (inzwischen?) (fast?) unbekannten Charles McEvoy.
Das letzte Wort:
To sum up: when once a play has begun to move, its movement ought to proceed continuously, and with gathering momentum; or, if it stands still for a space, the stoppage ought to be deliberate and purposeful. It is fatal when the author thinks it is moving, while it is only revolving on its own axis.
William Archer: Tension and its Suspension. Play-Making: A Manual of Craftsmanship. Beim Project Gutenberg.