Theorie tl;dr: Überdruss

Too long; didn’t read: Texte aus Drehbuch-, Film- und Welttheorie, kurz, knapp, bündig zusammengefasst und auf ihren Wert fürs filmschreiben hin geprüft. Heute das Kapitel „Eine Zeit dazwischen“ aus Michael Ballhaus Autobiographie Bilder im Kopf.

In 140 Zeichen (Was ist das?):

#Ballhaus: Nach #Fassbinder gab es nur noch einen deutschen #Film, der nicht nur in B.‘ Erinnerung wenig bedeutete, ihn nicht halten konnte. — Arno (@filmschreiben) 4. Juli 2015

In 50 Worten (Was ist das?): Die Jungen Deutschen Filmemacher hatten die Aufmerksamkeit der damaligen Zeit gefordert, dann Aufmerksamkeit bekommen und die damalige Zeit bestimmt, dann waren sie unaufmerksam geworden. Der Junge Deutsche Film war alt geworden, ohne es zu bemerken. Es wäre der Augenblick gewesen, andere, neue Filme zu drehen. Ballhaus ging dafür nach Amerika.

Die Erkenntnis: Im Kapitel „Eine Zeit dazwischen“ beschreibt Ballhaus seine Arbeit nach Fassbinder und vor Hollywood. Die guten Bücher auf der Leinwand, wie hätte ich bei diesem Untertitel ein anderes Kapitel wählen können. Interessant ist, was Ballhaus quasi als wertvoller Zeitzeuge über das Ende des jungen deutschen Films schreibt, das ja auch das Ende seines deutschen Films ist. Nicht zufällig, weil wohl beides durch den Tod Fassbinders eingeläutet wurde.

Zur Erinnerung, über den Jungen und Neuen Deutschen Film haben wir schon mal verschiedene Texte besprochen, von Sabine Hake und von Thomas Elsaesser: Über Bonn nach Oberhausen, I und II.

Bemerkenswert ist für Ballhaus, dass ausgerechnet Franz Seitz den Zauberberg für Hans W. Geißendörfer produzieren sollte. Der Franz Seitz (Wikipedia), der kurz zuvor mit Schlöndorff einen Oscar für Die Blechtrommel gewonnen hatte, der aber wohl eigentlich vor allem für seichte Komödien, und die sogenannten Lümmel-Filme (und einige eher missratene Versuche als Regisseur) bekannt war. Für Geißendörfer (Wikipedia), der zwar wohl mit den Jahren immer ruhiger und glatter geworden war, aber laut Ballhaus „noch fünfzehn Jahre zuvor einer der allerwildesten Jungfilmer“. „Es gab keinen alten Film mehr, es gab keinen jungen Film mehr, es gab nur noch einen deutschen Film.“

Das Zitat:

Vielleicht lag es [dass für Ballhaus die Zeit dazwischen wenig Eindruck hinterlassen hat] aber auch am deutschen Film, der ein Jahrzehnt lang jung gewesen war, und als er nicht mehr jung war. da war er nicht mehr viel.

Bei einem thematisch so freien Text wie einer Autobiographie ist es schwer zu entscheiden, auf welchen Aspekt ich mehr Gewicht lege, und welche ich hier nur kurz erwähne. Von besonderem Interesse (I) ist vielleicht Ballhaus‘ Blick auf Theater und Film. Im betreffenden Kapitel beschreibt Ballhaus auch seine Arbeit mit Peter Stein (Wikipedia) und dessen Schwierigkeiten als Theaterregisseur plötzlich einen Film (Sommergäste) zu drehen.

Und dann stand er da draußen und wusste nicht so recht, wie es geht. Er war es gewohnt, den Raum der Bühne zu überblicken und zu beherrschen; im Theater saß der Zuschauer auf seinem Platz, und Stein wusste, was man ihm bieten oder zumuten konnte.

„Denk dir einen Zuschauer, der nicht brav in der siebten Reihe sitzen bleiben will.“ Räume mit der beweglichen und bewegten Kamera zu denken, das war ihm neu. Und die Schwierigkeit lag wohl nicht nur in diesem nötigen technischen Umdenken, sondern auch in der Notwendigkeit, Macht zu teilen und die ungewohnte, aber doch eigentlich verständliche Inkompetenz einzugestehen.

Von besonderem Interesse (II) ist natürlich auch die Arbeit als Kameramann. Um tatsächliche Entscheidungsfindungen nachvollziehen zu können, habe ich vielleicht das falsche Kapitel gewählt, wenn Ballhaus davon spricht, für Zauberberg Sprache in Licht zu übersetzen bleibt das unverständlich, aber es fasziniert. Genauso wie der Umstand, dass es für die Kameraführung wohl eine Rolle spielt, ob eine Geschichte als Rückblick erzählt wird, ihr Ausgang dem Erzähler also bereits bekannt ist.

Das letzte Wort: Dazugelernt.

Heute weiß ich, dass ich einfach nur arrogant war. Ich stand am Set, ich war erfahrener, ich dachte, ich wüsste genau, wie es geht. Und dann kam so ein junges Huhn [Margarete von Trotta, Jeanine Meerapfel] und wollte mir etwas erzählen. Bei einem Mann hätte ich vermutlich gesagt: Ich hätte da auch eine Idee, was meinst du, sollen wir die mal ausprobieren? Bei den Frauen dachte ich nur, egal, sie können es halt nicht. Was natürlich eine dumme und unreife Haltung war.

Michael Ballhaus mit Claudius Seidl: Bilder im Kopf. Die Geschichte meines Lebens.

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