Totgeschwiegen – so geht’s

Am Montag, dem 21. September 20 Uhr 15 im ZDF Totgeschwiegen, ein Film, angekündigt als Kriminalfilm mit einer total am Kern vorbei gehenden Pressemitteilung. Nun schaue ich Kriminalfilme nur noch in Ausnahmefällen. Ein Glück aber, dass ich es dieses Mal getan habe. Denn es war sicher einer der Höhepunkte des Fernsehjahres 2020.

Meine persönliche Backstory Genres betreffend. Als Dramaturg des Jahrgangs 1944 habe ich den Niedergang der Fernseh-Fiktion erlebt. Früher gab es viele sozialkritische Fernsehspiele, Dramen. Seit über dreißig Jahren gibt es sie fast nicht mehr. Alle Themen, Stoffe & Motive werden heutzutage in Krimis verpackt, in die TATORTE, POLIZEIRUFE und die oft in Komödie abdriftenden Vorabendformate. Deprimierend. Weil es in der Summe ein völlig falsches Bild der Realität abgibt. So viele Morde, wie wir, natürlich als Fiktion, tagtäglich konsumieren sollen, gibt es in der Realität nicht.

Als Dramaturg des Bullen von Tölz kann ich berichten, dass wir es in über 60 Folgen auf knapp 100 Tote gebracht haben. Realiter verfügt Tölz aber nicht mal über ein Kriminalkommissariat, das ist in Weilheim. Und dort gab es in den 12 Jahren nur zwei (!) Mordfälle. Die Entscheider in den Sendern wollen Krimis, weil sie meinen, dass nur noch dieses Genre eine Garantie für hohe Ratings gibt. Um den Preis einer sozialpädagogischen Katastrophe: was sollen Kids eigentlich über die Realität unserer Gesellschaft denken…

In meinem Beruf hab ich gelegentlich Autoren, die eine gute Geschichte nicht losbringen konnten, geraten, eine Leiche da hinein zu platzieren und so einen Krimi daraus zu machen. Weil Krimi-Drehbücher eben gefragt sind. Dass damit jede Geschichte in Ihrer Qualität reduziert wird, muss man als Autor in Kauf nehmen, weil Krimi-Struktur ja in der von Polizisten getragenen Ermittlung besteht.

Nun endlich zu diesem wunderbaren Film Totgeschwiegen. Ich will die Geschichte nicht verraten, weil ich möchte, dass alle Blog-Leser:innen, die ja in unserer Branche arbeiten, sich diesen Film in der Mediathek anschauen. Man kann da viel lernen, nämlich:

  • dass man das Genre Krimi verlassen muss, um ein Drama zu erzählen. Drama, gutes Drama, geht immer mehr in die Tiefe und bleibt nicht, wie zumeist im Krimi an der Oberfläche.
  • dass man von der übersteigerten Täter-Individual-Psychologie zur die Realität besser abbildenden Sozial-Psychologie kommen sollte. In Totgeschwiegen haben wir drei junge Täter und dazu gehörig fünf Elternteile. Die Spannung wird gehalten, indem – o.k., wie im Krimi – immer nur ein Teil des Tathergangs klar wird. Hier, weil die Jugendlichen eine Schutz-Strategie aufgebaut haben, die sie dann aber fataler Weise mit der Schuld allein lässt.
  • dass es immer eine zweite Ebene der Bezugspersonen (hier die der Eltern!) geben sollte. Diese Figuren sind exzellent kreiert, weil sich unter dieser Grenzsituation ihre Verschiedenheit zeigt. Das ist das Aufregende an diesem Film, nicht der für uns alle so ausgeleierte Typ von Krimihandlung.

Fazit: ein großartiger Film, phantastisch geschrieben, kongenial inszeniert und endlich mal durchgehend gleichwertiges Spiel-Futter für alle Schauspieler, die Jungen wie die Alten. Man ist gespannt, gefesselt und tief bewegt. Die Schuldfrage steht im Hintergrund, im Vordergrund die Lösung eines existentiellen Problems. Für alle, auch die Zuschauer, eine Erlösung.

P.S.: Schaut die Credits!

Ein Kommentar

  1. Monika Füting

    Dieser Film wurde beim 3-sat-TV-Film-Festival von der Jury mit dem Preis für das beste Drehbuch ausgezeichnet!

    7. Dezember 2020

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