Too long; didn’t read: Texte aus Drehbuch-, Film- und Welttheorie, kurz, knapp, bündig zusammengefasst und auf ihren Wert fürs filmschreiben hin geprüft – seit einem Jahr! Heute vor einem Jahr veröffentlichte ich das erste Theorie tl;dr: Über die Bedeutung der Form bei Joseph Campbell. Heute also die Geburtstagsedition mit einem Text von Ron: „Die emotionale Reise der Hauptfigur“, veröffentlicht auf filmschreiben.de.
In 140 Zeichen (Was ist das?):
Ron Kellermann: Die emotionale Reise in der #Dramaturgie stellt die große Entwicklung von #Hoffnung zu #Verzweiflung – oder umgekehrt – dar.
— filmschreiben (@filmschreiben) 8. Oktober 2015
In 50 Worten (Was ist das?): Die emotionale Reise kann Handlung sein, kann Charakterentwicklung in Reaktion auf eine Handlung sein, oder Entwicklung einer Beziehung in Reaktion auf eine Charakterentwicklung. Die Situation wandelt sich von Hoffnung zu Verzweiflung, oder umgekehrt. Wobei Hoffnung bedeutet, dass die Hauptfigur sich ihrem Ziel nähert; Verzweiflung, dass sie sich von ihm entfernt.
Die Erkenntnis: Die emotionale Reise bezeichnet die Reise durch den Tief- zum Hochpunkt – in diesem Fall ist der Tiefpunkt der sogenannte midpoint – oder umgekehrt, dann ist der Hochpunkt der midpoint. Dieser Midpoint trennt die Reise in zwei Teilstrecken, die eine ist die Reise in die Hoffnung, die andere die Reise in die Verzweiflung, oder wie Ron es nennt: Die Katastrophe. (Ich bezeichne das hier anders, weil ich hier nicht die Phase mit dem Tiefpunkt verwechseln möchte.)
Die Begriffe Hoffnung und Verzweiflung werden in Bezug auf den Protagonisten und das mögliche Erreichen seines Ziels gebraucht. Die Antwort auf die Frage, wann eine Figur ihrem Ziel am nächsten ist, ist schnell beantwortet: Wenn sie es erreicht hat. Es bietet sich aber demnach für die Stoffentwicklung auch die Überlegung an, wann die Figur von ihrem Ziel am weitesten entfernt ist, und die Beantwortung dieser Frage ist schon deutlich schwieriger.
Das Zitat:
Cahit [in Gegen die Wand] ist in der Hoffnung: Durch Sibel bekommt sein Leben wieder Sinn, er entdeckt Freude am Leben, er verliebt sich in sie. Am Ende der Hoffnung – im zentralen Punkt – ist er kurz davor, sein Ziel zu erreichen: Hochpunkt – alles scheint erreicht. Er schläft mit Sibel und wünscht sich eine Beziehung. Sie will jedoch keine feste Beziehung, sondern so weiter leben wie bisher. Was sie auch macht. Und wodurch Cahit in die Katastrophe stürzt […].
Von besonderem Interesse ist vielleicht Rons Abstecher zu den Pygmaliongeschichten in Bezug auf Rita will es endlich wissen. Ursprünglich ging es dabei um einen Bildhauer, der sich in die selbstgeschaffene Statue einer Frau verliebt; bei George Bernard Shaw dann verlässt das „selbstgeschaffene“ Mädchen seinen „Schöpfer.“ Es geht um eine Beziehung zwischen Mentor und Schützling und die Emanzipation des Schützlings vom Mentor. Dieser Art Beziehung und dem emotionalen Thema der Emanzipation begegnen wir in vielen Erzählungen, und das Wissen um das Pygmalionschema kann uns vielleicht bei vielen Stoffentwicklungen helfen.
Das letzte Wort:
Gute Reise.
Ron Kellermann: Die emotionale Reise der Hauptfigur. Zu Lesen natürlich hier bei uns!