Direkt nach Erscheinen des Romans Unterleuten, den ich voller Bewunderung gelesen habe, schrieb ich via Verlag mein Kompliment an die Autorin Juli Zeh. Ich gab mich als Filmdramaturg zu erkennen und bemerkte, dass ich mir eine Verfilmung kaum vorstellen könne, weil der Perspektivwechsel auf die Figuren, dadurch dass sich in jedem Kapitel auf eine Figur erzählerisch konzentriert wird kaum ins Filmische übertragen werden kann. Aber die Stärke der Prosa sei, dass man die jeweilige Haupt-/Erzählfigur sympathisch findet bis hin zur Identifikation. Im nächsten Kapitel wird die dann aber meist negativ gespiegelt. Das fand ich bei der Lektüre neu und grandios. Nun lese ich bei tittelbachtv, dass mein Punkt vom dortigen Kritiker bestätigt wird:
Manch eine Figur erreicht nicht die Tiefe des Romans…
…aber die Brüche und Risse im gesellschaftlichen Zusammenleben. Juli Zeh verstand es in ihrem Roman, die großen Fragen von Grundbesitz, Strukturwandel und Energiewende mit einer spannenden und berührenden Geschichte im dörflichen und familiären Umfeld zu verbinden. Dabei hat sie alle Figuren fein und differenziert gezeichnet, was insbesondere dem beständigen Perspektivwechsel (fett: meine Hervorhebungen) geschuldet ist. Denn jedes Charakterbild von den elf Hauptfiguren entsteht auch durch die Einschätzung der anderen. Im Mehrteiler gelingt das nicht ganz so gut. (So mein prinzipieller Einwand nach Lektüre!) Zum Beispiel Schaller (Charly Hübner), der grobschlächtige, wortkarge Automechaniker, der als Nachbar den Vogelschützer und seine Frau mit dem Qualm brennender Autoreifen terrorisiert, bleibt doch deutlich hinter der Tiefe der Romanfigur zurück. Den Motorrad-unfall, der ihm das Gedächtnis raubte, gibt es im Film nicht, und auch seine bedingungslose Liebe zu Tochter Miriam (Nina Gummich), im Buch die große Antriebskraft seines neu gewonnenen Lebens, wird hier kaum ausgespielt.
Thomas Gehringer: Unterleuten – Das zerrissene Dorf – Kritik zum Film – Tittelbach.tv
Meine Eindrücke nach dem Anschauen der 1. Folge: Die literarische Struktur ist aufgegeben – dafür eine zwar konventionelle, aber grandios ausgeführte filmische Struktur. Alle Figuren, alle Themen, alle Probleme sind schon jetzt exponiert und eine starke Spannung ist aufgebaut. Großartige zur Prosa deckungsgleiche Darsteller!
Nach der 2. Folge: Alles ist viel früher eingeführt und so ist eine Verdichtung erreicht, die nicht episch, sondern dramatisch ist. Folge 2 spitzt sich mit der Kindessuche stark zu. Parallel dazu der Streik der Ökologica-Arbeiter. Und die alten Konflikte der ,Ureinwohner‘ brechen voll wieder auf, wohingegen die Neusiedler sich zu vereinen scheinen. Ganz starke Figuren. Große Gefühle. Und gelegentliche sogar optische Komik. Schaller und Tochter exponieren hier stark, eben nur nicht so wie im Roman.
Nach der letzten Folge: Puh, zu krass, exzessive Gewalt, zu viele Tote & Verletzte. Hab ich so nicht in Erinnerung. Einige gehen zurück nach Berlin. Die Alt-Unterleutner, wenn sie noch leben, bleiben da, nur Gombrowskis Ehefrau geht weg. Muss sie auch nach ihrem Rachefeldzug und ihrer Falscheinschätzung von Ehebruch. Zwei Töchter bleiben und Schaller, vielleicht, wenn er durchkommt. Bestraft wird die Heuschrecke aus Bayern. Und das ist gut so.
Der Schlußsatz einer Erzählerstimme stellt das Grunprinzip der literarischen Fassung wieder her: Jeder sieht die Geschichte eben so, wie er sie empfindet. Objektivität, Wahrheit gar – Fehlanzeige. Das lange rätselhaft bleibende Geschehen kurz nach der Wende ist banaler als vermutet. Ost & West hat nicht funktioniert.
Unterleuten: Alles in allem ein starker Film, eine große Leistung von Buch-, Regie- und Schauspieler-Elite. Und ein Lehrstück über die unüberbrückbaren Differenzen von Prosa & Drehbuch. C.P. Hants Kriterien für das Funktionieren eines Filmes, nämlich SPANNUNG – GEFÜHLE – ERKENNTNIS sind voll erfüllt. Aber auch dank der Vorarbeit dieser literarischen Vorlage, die diese Figuren erst kreiert hat.
Hallo Herr Füting,
das widerspricht sich etwas für mich. Im Resümee stellen Sie unüberbrückbaren Differenzen von Prosa & Drehbuch fest, vorhergehend findet die Kritik am Film aber nur über eben diese Differenzen statt. Die Wahrheit der Prosa in der Realität des Filmes zu suchen, führt doch nie zur Erfüllung durch die Vorlage geschaffener Erwartungen. Was der Film vom Buch verschweigt, ist nicht Kommunikationsfähig, wenn man es als Ungesagtes auf den Film überträgt.
Während das Buch mit der reinen Vorstellung seines Lesers kommuniziert, schafft der Film im Wahrnehmungsrahmen optischer Kommunikation Fakten, die der Zuschauer eher als real wahrnimmt und viel stärker wirken können als ein einseitig geschaffenes Vorstellungskonstrukt –
vielleicht deshalb die größere Popularität von Filmen im Vergleich zu Büchern und selbst den Buchvorlagen zu Filmen.
Aber die Diskussion, ob das Buch oder der Film besser ist, ist keine neue. Finde z.B. Kubricks Filme besser als die Buchvorlagen, die ich im Gegensatz zu ´Unterleuten´ auch gelesen und gesehen habe, weil sie in der Sprache der Bilder nicht nur eine Interpretation des Buches wiedergeben, sondern eine eigene Wahrheit losgelöst vom Buch formulieren.
Mit der Erwartung aus der Vorstellung der Romanvorlage einen Film zu sehen, ist besonders enttäuschend, wenn man sich gerade diese Vorstellung für den Film bewusst frei hält. Dagegen kann man sich nicht wehren.
Viele Grüße
Marc Wormskirch
Hallo Herr Wormskirch,
habe ich mich nicht klar genug ausgedrückt? – Ich finde den Film gut und auch das Buch. Was besser ist, sage ich nicht wirklich. Das ist hier ja auch keine Kritik, sondern, wie es sich für fs gehört, eine dramaturgische Erörterung..Um die literarische Struktur ins Filmische zu übertragen, hätte es 11 Folgen (glaube ich), eben so viel wie die Kapitel, geben müssen, jeweils aus der Perspektive des Helden/in geben müssen. Vielleicht sogar mit sehr viel innerem Monolog. Undenkbar, dass jemand 11×50 Minuten produziert hätte. Was das grundsätzliche Problem Literatur/Film betrifft, bin ich mit Ihnen sehr d’accord. Ich kenne nur einen Film, den ich besser finde als das Buch: Wolfgang Staudtes DER UNTERTAN nach Heinrich Manns Roman Weil der Thomas Mann-Bruder nicht die Sprachkraft hat, die sich mit Staudtes Bildern seiner Figuren messen kann. Und ich kenne auch nur einen Film, der exakt der literarischen Vorlage entspricht. Es ist DIE WAND mit Martina Gedeck. Die dort nach dem Plot Point I den Mund nicht mehr aufmacht und Marlene Haushofers Text, 1:1, als inneren Monolog denkt. Der Autorin Haushofer hätte das wohl gefallen. Frau Zeh war mit der Verfilmung=Dramatisierung aber auch zufrieden.
Nichts für ungut
Michael Füting
Guten Tag Herr Füting,
Zeit und Geld sind wahrscheinlich die wesentlichen Gründe, weshalb der Film regelmäßig ganze Handlungsstränge unterschlägt, die sich im Buch über Wochen und Monate ziehen.
Wie ich Ihre Analyse zu ´Unterleuten´ verstanden habe, ist es dort nicht anders.
Die anderen Buch ./. Film Vergleiche sind als Ausnahmen wirklich interessant – ich wollt´, ich könnt´ sie alle lesen, lese aber nur noch fachbezogenes, wie „Im Drehbuch-Dschungel“, das statt mit volkssportlichem Motivationstraining, mit konkretem Rat und echter Erfahrung dem Berufsanfänger eine wirkliche Hilfe ist, um vorbereitet zu sein.
Um aber bei der Diskussion zu bleiben, möchte ich behaupten, dass der Film im Szenischen immer mehr leisten muss, als „nur“ eine Interpretation der Buchvorlage, um darüber hinaus erfolgreich zu sein. Eine Interpretation ist er sowieso. Inwieweit das auf ´Unterleuten´ zutrifft, kann ich leider nicht beurteilen, glaube aber schon, nach Ihrer Meinung.
Herzliche Grüße
Marc Wormskirch