Erzählung designen: Design hilft Dramaturgie und Figur

Erzählen ist Kommunikation: Kommunikation zwischen Autorin oder Autor und Publikum zum einen, wie sie etwa von Roland Zag in Der Publikumsvertrag beschrieben wird, und Kommunikation zwischen den erzählten Figuren zum anderen, die den dramatischen Konflikt miteinander verhandeln. Das Problem des Erzählens (Wie erzähle ich?), mit dem sich Dramaturginnen und Dramaturgen befassen, sowie das Problem der Erzählung (Wie handle ich?), mit dem sich die Figur befasst, sind Kommunikationsprobleme. Für das Verständnis dieser Probleme und möglicher Prozesse zu ihrer Lösung lohnt sich ein Blick über den Storytellerrand dorthin, wo andere »Kommunikationsschaffende« mit vergleichbaren Problemen und vergleichbaren Lösungsprozessen arbeiten, etwa im Design.

Dieser Artikel erschien ursprünglich im Herbst 2018 in der 42. Ausgabe des Wendepunkt (PDF), dem Fachmagazin des Verbands für Film und Fernsehdramaturgie. Nach und nach werde ich alle der bisher nur im Wendepunkt erschienenen Artikel von mir hier im Blog zur Verfügung stellen.

Die Designtheorie hat bereits von sich aus eine Brücke zur Sprache, zur Rhetorik geschlagen (bspw. in Gesche Joost, Arne Scheuermann (Hrsg.): Design als Rhetorik). Ihre beiden großen Aufgaben – Konzeption und Gestaltung – lassen sich gut als Aufgaben der Autorin sowie Aufgaben der Figuren verstehen. Autorinnen konzipieren Thema, Handlung, Figuren und Erzählwelt, und gestalten sie sprachlich und je nach Medium audiovisuell. Figuren entwickeln Pläne, etwa zwischen dem erregenden Moment und dem ersten Wendepunkt (vgl. Linda Aronson: The 21st Century Screenplay), haben dramatische Ziele zur Veränderung ihrer Wirklichkeit. Wenn sie handeln, greifen sie gestaltend in diese ein. Die Frage nach der Gestaltung durch die Figur gilt besonders für ihren Tiefpunkt. Darin muss sie erkennen, dass sie falsch gestaltet, schlecht gestaltet hat, und nun richtig und gut gestalten muss.
Die Designerin tritt als Autorin der Gestalt zurück.
Wenn man die Entwicklung eines Erzählstoffes mit der Entwicklung einer Rede in der Rhetorik oder mit der Entwicklung einer Gestalt im Design vergleicht, fällt auf, dass die Dramaturgie den Autorinnen oft Hilfe nur in einem Schritt anzubieten scheint: in der dispositio, Gliederung, in der Rhetorik, bzw. bei den Spezifikationen des Materials im Design. Doch es gibt viele andere Schritte in der Entwicklung einer Erzählung. Die Dramaturgie sollte sich bemühen auch dort den Autorinnen systematisch Hilfe anzubieten – wer sollte es sonst? Das gilt besonders für die Recherche, die im modernen Design gut die Hälfte des Prozesses bestimmt. Und auch dann noch nicht abgeschlossen ist.

Designerinnen und Designer stellen Thesen über ihr Problem auf, und versuchen sie bei ihrer Zielgruppe zu verifizieren oder zu falsifizieren. Sie identifizieren alle von ihrem Design Betroffenen, führen Interviews und versuchen sich in qualitativer Forschung im weitesten Sinne. Sie laden die Betroffenen ein, um gemeinsam und interdisziplinär die Probleme zu bearbeiten und Ideen zu ihrer Lösung zu entwickeln. Gemeinsam üben sie sich im Nachdenken über eine Fiktion der Zukunft mit dieser und ohne diese Lösung. Dann erst beginnt die eigentliche Gestaltung, die ebenfalls gemeinsam, ko-kreativ, umgesetzt werden kann. Die fertige Gestalt ist für die Designerin allerdings bloß Prototyp, der getestet und dann iterativ weiterentwickelt werden muss. Die Qualität des Prozesses scheint dabei oft mindestens gleichrangig mit der Qualität des Prozessergebnisses. Soll heißen: Wenn sich die Betroffenen gestalterisch beteiligt haben, ist diese Wirksamkeitserfahrung Teil der Problemlösung.

Es fällt auf: Die Designerin tritt immer mehr als Autorin der Gestalt zurück und gestaltet stattdessen den Rahmen des Gestaltungsprozesses. Das soll hier für das Erzählen und das Erzählen in Film und Fernsehen nicht propagiert werden, wäre als Experiment aber durchaus denkbar. Eine ausgiebige Recherche der durch die Erzählung Betroffenen – und das ist im Erzählen nicht nur das Publikum, sondern das sind auch (und besonders) die Personen, von denen erzählt wird – ist in jedem Fall sinnvoll. Doch die Autorin wird mit dieser Aufgabe zu oft alleingelassen. Systematische (und auch filmpolitische) Unterstützung durch die Dramaturgin könnte dabei helfen.
Im Tiefpunkt findet die Recherche statt, im Anschluss ein ko-kreativer Gestaltungsprozess.
Für die dramatische Figur ist solch ein Zurücktreten als Autor der Gestaltung, als Urheber der Handlung, sinnvoller Teil der Charakterentwicklung. Die Protagonistin hat sich den ganzen zweiten Akt über als Protagonistin versucht, als Erst-Handelnde. Sie will bestimmen, wo es lang geht, sie will ihre Wirklichkeit gestalten. Auf diesem Wege hat sie triumphiert und auf diesem Wege ist sie dann krachend gescheitert. In Ihrem Tiefpunkt muss sie erkennen, dass sie so, wie sie war und mit dem, was sie hatte, nicht zur Lösung ihres Problems fähig ist.

Stattdessen muss sie sich neuen Möglichkeiten öffnen, die sie nicht von allein in sich selbst, sondern nur durch die Welt und andere (ihr emotionales Netzwerk, ggf. ihr Love Interest) dort findet (siehe: »Wahrnehmung und Sensibilität: Wie wir und unsere Figuren erkennen«, Wendepunkt N° 35, Juni 2016). Die Prüfung im dritten Akt ist dann oft eine Prüfung, ob die Figur auf die Welt, ihr emotionales Netzwerk und deren Weisheit vertraut. In diesem Tiefpunkt findet die Recherche statt, und im Anschluss ein ko-kreativer gestaltender Prozess.

Der Blick ins Design wirft einige interessante Fragen und Möglichkeiten des Erzählens und der erzählerischen Arbeit auf. Die ko-kreativen Methoden des Designs können für die Arbeit im Writers‘ Room und die Zusammenarbeit zwischen den Gewerken nutzbar gemacht werden. Es gibt kritisches Design, das oft durch irreführende oder fehlende Funktionalität seine Nutzung durch den Nutzer hinterfragt. Ist das auch im Erzählen möglich? Die Designerin nutzt Prototypen, um ihr Design zu verbessern und ihre Wirkung zu überprüfen. Wie können Erzählerinnen ihre Wirkung besser überprüfen, die Qualität ihrer Arbeit besser managen? Was nützt eine Filmkritik, wenn ihre Ergebnisse nicht mehr in die Weiterentwicklung des kritisierten Artefakts einfließen?
Sind Filme gesellschaftliche Experimente an ihrem Publikum?
Weiter. Die Designerin hinterfragt (auch zu selten) ihre Macht als Autorin von Gestalten, aber auch als Autorin von Systemen zur Gestaltung. Hinterfragen Erzählerinnen ihre Macht? Und hinterfragen Figuren die Systeme, in denen sie leben, und erkennen sie, dass es gestaltete Systeme mit Autorinnen sind, die sich umgestalten lassen, wenn sie selbst zur Autorin werden? Designerinnen binden Forscherinnen in ihre Arbeit ein, die die Gestaltung als ein gesellschaftliches Experiment an den Betroffenen verstehen und erforschen. Sind Filme gesellschaftliche Experimente an ihrem Publikum und was kann die Gesellschaft dabei über sich lernen? Und sollte es eigentlich einen Support-Service geben für ein Publikum, das die Verwendung einer gegebenen Geschichte nicht versteht oder ein Problem damit festgestellt hat?

Dieser Artikel kann bloß eine Einladung zu einem erzählerischen Blick auf Design, bzw. zu einem designerischen Blick auf Erzählung sein. Die Designerin nennt das Intervention, wir Erzählerinnen Erregendes Moment und Ruf zum Abenteuer, gemeinsam nennen wir es Störung. Im Sinne der Ko-Kreation sollte es ein gemeinsamer Blick sein, eine gemeinsame Recherche, mit allen Betroffenen zusammen.

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